Neuer Handel mit Südamerika: Wenn der Zuckerhut lockt
Hamburgs Hafen setzt künftig auf Brasilien statt auf China. Diesen Strategiewechsel soll Bürgermeister Scholz im April in Rio und São Paulo einleiten
Offiziell will niemand von einem Strategiewechsel sprechen. Und doch steht der Hamburger Hafen kurz vor einer Richtungsentscheidung, welche die Zukunft des größten deutschen Hafens wesentlich prägen dürfte. Brasilien heißt das Land der Träume.
Der Riesenstaat am Südatlantik habe ein „großes wirtschaftliches Potenzial“ und stelle einen für Importe aus Deutschland „sehr interessanten Markt“ dar, lautet das Fazit einer internen Studie der Hafen Hamburg Marketinggesellschaft (HHM) im Auftrag der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA), die der taz.nord vorliegt. „Brasilien kann eines der zentralen Länder für Wachstum im Hafenumschlag in den kommenden Jahren sein“, heißt es in der 70-seitigen Analyse. Vorgestellt werden soll sie nächste Woche.
Hintergrund für das Umdenken der Hafenstrategen um HPA-Chef Jens Meier ist das anhaltende Schwächeln des mit Abstand größten Handelspartners China. Seit der Weltwirtschaftskrise 2009 stagniert der Warenaustausch mit dem Reich der Mitte. In den ersten drei Quartalen 2012 brach er sogar um 11,6 Prozent ein, die Zahlen für das gesamte vergangene Jahr werden am Montag vorgestellt. Mit etwa drei Millionen Standardcontainern (TEU) sorgt China immerhin für ein Drittel des gesamten Umschlags, Brasilien liegt mit 230.000 TEU auf Platz zehn der Hamburger Handelspartner. „Wenn Shanghai niest, bekommt Hamburg Grippe“, sagt ein Hafenexperte.
Brasilien ist mit 8,5 Millionen Quadratkilometern das fünftgrößte Land der Erde, etwa doppelt so groß wie die Europäische Union.
Bevölkerung: Mit knapp 200 Millionen Einwohnern liegt Brasilien auch auf Platz fünf der bevölkerungsreichsten Staaten.
Wirtschaft: Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1.778 Milliarden Euro ist Brasilien die sechstgrößte Volkswirtschaft der Erde, Deutschland liegt mit 2.571 Milliarden Euro auf Platz vier.
Außenhandel: Die größten Handelspartner sind China und die USA. Es folgen Argentinien, Deutschland und Japan. 2011 erzielte Brasilien einen Exportüberschuss von 21,3 Milliarden Euro.
Waren: Fleisch, Früchte, Soja, Zucker; Kupfer, Gold, Uran, Eisenerz, Erdöl.
Finanzkraft: Brasilien hat seine Schulden getilgt und ist im Internationalen Währungsfonds (IWF) zum Geberland geworden.
Das hat zur Folge, dass Hamburgs Gewicht in der sogenannten Nordrange der wichtigsten Atlantikhäfen der EU abnimmt. Zwar dürfte der Hafen an der Elbe den zweiten Platz hinter dem niederländischen Rotterdam und knapp vor dem belgischen Antwerpen auch 2012 behauptet haben, wies aber in den ersten neun Monaten beim Umschlag ein Minus von 0,6 Prozent auf. Bremerhaven auf dem vierten Platz hingegen legte um 6,2 Prozent zu und verringerte den Abstand zu Hamburg.
Und deshalb suchten die Hafenstrategen an der Elbe weltweit nach einem neuen großen Partner und fanden Brasilien. Das Land werde „zukünftig eine größere Rolle für den Hamburger Hafen spielen“, prognostiziert die Studie – wenn der Stadtstaat an der Elbe jetzt die richtigen Schritte einleite. Außer den beiden großen Häfen Santos und Rio de Janeiro gelten sieben weitere Städte als interessant für Frachtliniendienste.
Beispielhaft ist der brasilianische Hafen Itajaí im wohlhabenden südlichen Bundesstaat Santa Catarina. Dieser wird zurzeit mit einer rund 1.000 Kilometer langen Bahnstrecke an die Farmen im Hinterland angebunden. Ziel ist es, auf dieser „Ferrovia do Frango“ (Hühnereisenbahn) in großen Mengen Huhn- und Rindfleisch in modernen Kühlcontainern mit dem Zug zum Hafen und mit dem Schiff nach Europa zu transportieren. Der Import dieses Billigfleisches aus Massentierhaltung nach Hamburg dürfte erhebliche Auswirkungen auch auf die Geflügelmäster im Agrarland Niedersachsen haben.
Im April will Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) mit einer Wirtschaftsdelegation nach Brasilien reisen, um schon mal Kontakte zu knüpfen, die HHM will in Rio de Janeiro ein Hamburg-Office eröffnen. Als flankierende Maßnahmen empfiehlt die Studie unter anderem Partnerschaften mit mehreren Häfen, eine Städtepartnerschaft mit der Wirtschaftsmetropole São Paulo sowie Brasilien auf einem der nächsten Hafengeburtstage eine Bühne als Partnerland zu bieten.
Höhepunkt des Flirts könnte ein Fußballspiel zwischen dem Hamburger Sportverein und Weltpokalsieger Corinthians São Paulo mit Ex-HSV-Stürmer Paolo Guerrero sein. Das einzufädeln dürfte nicht schwer fallen: HPA-Chef Meier ist seit drei Wochen stellvertretender Vorsitzender des HSV-Aufsichtsrats.
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