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Neuer Film, neues DramaDiva im Unglück

In "Actrices oder der Traum aus der Nacht davor" gibt Valeria Bruni Tedeschi eine Schauspielerin, die mit sich hadert. Das leicht nervende Drama ihrer Frauengeneration.

Keine sympathische Figur: Marcelline Bild: hoehne presse

Vielleicht gehört "Actrices" zu jener speziellen Sorte Film, die man besser allein anguckt - ohne Gefahr, hinterher für das Vorhaben zur Rede gestellt zu werden. Denn wenn der eigene Blick unaufmerksam wird, weil ihn die Last der Verantwortung für den anderen ablenkt, dann nimmt man allzu leicht die an den Nerven zehrende Hauptfigur als Beleg für einen nervenden Film.

Tatsächlich ist Marcelline (Valeria Bruni Tedeschi) keine unbedingt sympathische Figur: eine erwachsene Frau - im Film gratuliert man ihr zum 40. Geburtstag -, die sich zu oft wie ein kleines Mädchen benimmt. Einerseits eine geachtete und erfolgreiche Schauspielerin, scheint sie andererseits, partner- und kinderlos, nicht zu wissen, wo ihr Platz in dieser Welt ist. Zu den Proben für das neue Stück kommt sie zu spät, das ganze Ensemble wartet nur auf sie - doch statt als Diva einzutreten, versucht sie verlegen lächelnd und Entschuldigungen stammelnd, sich an ihren Platz zu mogeln. Man merkt sofort: der Umgang mit dieser Frau ist kompliziert.

Wie schon in ihrem Regiedebüt "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr…" hat sich Valeria Bruni Tedeschi (mit Koautorin Noémie Lvovsky) eine Rolle auf den Leib geschrieben, die sich sowohl durch stark autobiografische Züge auszeichnet als auch dadurch, wenig schmeichelhaft zu sein. Marcelline ist nicht nur eine unglückliche 40-Jährige, die von ihrer Frauenärztin bestätigt bekommt, "nicht mehr viel Zeit zu haben", sondern auch ziemlich uneinsichtig und ungeschickt. Und vielleicht liegt das Nervende an ihr in dieser Diskrepanz zwischen großer Tragödin und kleiner Komödiantin. So tief empfunden ihr Unglück auch ist, als sie in die Kirche geht, um mit einer Kerze in der Hand Gott um Beistand bei der Männersuche zu bitten, bläst sie sie mit ihren ersten Worten aus Versehen aus. Wenige Tage später kommt sie wieder, um sich bei Gott zu entschuldigen: Sie habe sich das Falsche gewünscht, sie wolle nun ein Kind. Und, so fügt sie tapfer hinzu, sie würde dafür sogar auf Ruhm und Ehre verzichten.

Es ist eine Gratwanderung, die Valeria Bruni Tedeschi mit diesem Film eingeht: das Groteske, das Widersprüchliche, das Lächerliche an den Problemen von Marcelline herauszustellen - ohne die Figur ganz der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Ereignisse des Films sind rund um die Proben und die Aufführungen von Turgenjews "Ein Monat auf dem Lande" angesiedelt. Marcelline spielt darin die verheiratete Natalja Petrowna, die sich in den jungen Hauslehrer ihrer Adoptivtochter verliebt. Manche Theaterszenen scheinen ihr Befinden direkt zu spiegeln, manchmal wird die Bühne zum Schauplatz privater Ereignisse. Ein verflossener Liebhaber besucht sie nach der Aufführung; irgendwann findet sie in den Kulissen ein schreiendes Baby und läuft mit ihm davon. Wirkliches mischt sich mit Unwirklichem: Marcelline unterhält sich mit verstorbenen Jugendfreunden und lässt sich vom toten Vater Trost zusprechen. Gespensterhaft, aber erschreckend real ist dagegen die Mutter (wie schon in "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr…", gespielt von Valerias - und Carla Brunis - leibhaftiger Mutter Marysa Borini), die mit nörgelnder Fürsorge auf ihre Tochter einredet: "Warum bloß hast du Arthur nicht geheiratet?"

Wie gesagt, derjenige, den man mit in diesen Film geschleppt hat, würde vieles daran auszusetzen finden: angefangen von der übertriebenen Rolle von Noémie Lvovsky als in den schwulen Regisseur verliebte Assistentin bis hin zur stockenden Dramaturgie. Allein dagegen lassen sich besser die Momente bewundern, in denen Bruni Tedeschi das Drama ihrer Frauengeneration in oft merkwürdigen, aber präzisen Bildern einfängt. Erzogen von Müttern, die noch über die Heirat mit einem Prinzen schwadronieren, finden sie sich selbst in einer Unabhängigkeit wieder, die ihnen noch nicht mal erlaubt, auf Tragödinnen-Art ins Wasser zu gehen: Marcelline nämlich kann viel zu gut schwimmen.

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