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Archiv-Artikel

Neue Welle

FORMHOCH Im Duell der Europa-League-Aspiranten ringt Hannover den FSV Mainz nieder und steht wieder auf Platz drei. So richtig wahrhaben will das keiner im Team, nur die Fans werden langsam euphorisch

„Bayern ist Favorit auf den dritten Platz. Sie haben einen Tick mehr Potenzial“

96-Verteidiger Christian Schulz

AUS HANNOVER KLAUS IRLER

An manche Dinge müssen sich die Fans von Hannover 96 erst noch gewöhnen. Da wäre zum Beispiel ein ausverkauftes Stadion – das gibt’s nicht oft in Hannover, und am Samstag beim Spiel gegen Mainz 05 blieben nur ein paar Sitze im Mainzer Fanblock leer. Außerdem wäre da La Ola. Nach dem 2:0 durch Sergio Pinto lief die Welle minutenlang durchs Stadion, und auch das ist eine Seltenheit, über die Hannovers Verteidiger Christian Schulz sagt: „Das macht einen stolz.“

Und dann ist da noch die Tabelle: Hannover 96 steht nicht nur auf einem Platz, der zur Teilnahme in der Europa League berechtigt, sondern auf dem dritten Platz, der zur Qualifikation für die Champions League führt. Hannover 96 steht fünf Spieltage vor Saisonende vor dem FC Bayern München. Das gibt es ein gefühltes erstes Mal seit Menschengedenken.

Berauscht von diesen Entwicklungen skandierten die Fans nach Abpfiff: „Wir wollen den Trainer sehen!“ Aber der Trainer kam nicht. Mirko Slomka war da schon in den Stadionkatakomben und grinste in verschiedene Kameras, und zwar mit der typischen slomkaesken Zurückhaltung. Ob Hannover 96 die Bayern aus der Champions League werfen würde? „Das geht mir alles zu schnell“, sagte Slomka. „Wir wollen die Position verteidigen. Aber wir haben noch fünf Spiele und es wird ein harter Kampf wie heute auch.“

Tatsächlich war der 2:0-Heimsieg gegen Mainz 05 im Duell der beiden Europa-League-Aspiranten mehr Kraftakt als Fußballkultur. Hannover operierte in der ersten Halbzeit mit langen Bällen, was genau genommen nur zu zweieinhalb Torchancen führte – bis Hannover in der 45. Minute nach einer Mainzer Ecke zu einer Konterchance kam: Hannovers Sergio Pinto bediente Lars Stindel mit einem Traumpass. Der wurde von Nikolce Noveski im Strafraum von den Beinen geholt: Die Folge: Rot für Noveski und Elfmeter. Den verwandelte Didier Ya Konan.

Das Tor in Kombination mit dem Platzverweis gab dem Spiel seine Wendung. Zwar gab Mainz auch mit zehn Mann nicht auf, aber nachdem Stürmer Sami Allagui alleine vor Hannovers Torwart Ron-Robert Zieler vergab (55.), war das Spiel entschieden. Das 2:0 für Hannover durch Sergio Pinto (59.) fiel nach einem Eckball. Es war ein verdienter Sieg, aber nicht zustande gekommen aufgrund jener Tugenden, für die Hannover in dieser Saison bekannt geworden ist.

Kompakt zu stehen und schnell von Verteidigung auf Angriff umzuschalten – diese sowohl von Hannover als auch Mainz mit Erfolg praktizierte Spielanlage versuchten beide Mannschaften am Samstag gegeneinander einzusetzen. „Wir wollten Hannover mit seinen eigenen Waffen schlagen“, sagte Gästetrainer Thomas Tuchel. Zustande gebracht hat Mainz allerdings nicht viel, und auch Hannover musste lange auf die Chance zum Konter warten. Am Ende hatte Hannover 21 Mal und Mainz neun Mal auf das Tor geschossen.

96 hat nun zehn Punkte Vorsprung vor dem sechsten Tabellenplatz und damit die Teilnahme an der Europa League so gut wie im Sack. Mainz trennen nur noch zwei Punkte von Platz sechs, was bei Tuchel einen gewissen Unmut verursacht. „Natürlich herrscht jetzt Nervosität im ganzen Haus“, sagte er. „Wir haben schließlich das Ziel Europa League am Anfang der Saison ausgegeben.“ Tuchel meinte das ironisch – und offenbarte damit doch, wie wichtig ihm das Erreichen der Europa League ist.

Für Hannover gilt weiter Platz vier als Ziel im Liga-Endspurt. Nach dem Sieg über Mainz nahm 96-Verteidiger Christian Schulz den aktuellen dritten Platz erst mal gar nicht zur Kenntnis: „Wir sind froh über diesen vierten Platz, dass wir den erst mal sichern konnten“, sagte er. Auf Platz drei seien die Bayern Favorit. Schulz: „Sie haben einen Tick mehr Potenzial.“ Während Schulz das sagte, gingen etliche der Fans nicht etwa nach Hause, sondern in den Fan-Shop. Über eine Stunde nach Abpfiff standen dort immer noch Leute in langen Schlangen vor den Kassen. Auch das ist neu.