■ Neue Vorschläge müssen entwickelt, nicht zerredet werden: Mut zu neuen Utopien
Neue Vorschläge haben eine reale und eine utopische Dimension. So auch der Plan des VW-Konzerns, die Viertagewoche einzuführen. Der reale Aspekt ist recht prosaisch: der Zwang des Konzerns, Kosten zu sparen. Aber nicht das, sondern die utopische Dimension des Planes war es, was sogleich die Öffentlichkeit elektrisierte. Jedem leuchtet die Vision ein: Wenn alle ein bißchen weniger arbeiten würden, könnte der Arbeitsmarkt humaner aussehen, Beschäftigung gleichmäßiger verteilt werden. Den richtigen Schub bekam die Idee dadurch, daß beide Sozialpartner Zustimmung signalisierten. Die Krise als Chance für gemeinsame Entwürfe einer besseren Arbeitsgesellschaft? Jenseits einer detaillierteren Betrachtung des VW- Konzerns verdient die Viertagewoche vor allem in ihrer utopischen Dimension auf breiter Ebene diskutiert zu werden. Aber was passiert? Schon mauern die Interessenvertreter wieder, übertreffen sich Arbeitgeber und Gewerkschafter gegenseitig in unerfüllbaren Forderungen. Überproportionale Lohnkürzungen fordern die Unternehmer, möglichst vollen Lohnausgleich die Gewerkschaften. Das Schema kommt bekannt vor: Auf ähnliche Weise erstarrte auch die Diskussion um den Zweiten Arbeitsmarkt. Die IG Metall will vollen Tariflohn, die Arbeitgeber möglichst die Gemeinschaftsarbeit jenseits aller Tarifverträge.
Dabei könnte gerade jetzt der Schwung wenigstens für die Diskussion neuer Ideen ausgenutzt werden: Warum wird nicht – wie in Frankreich – über Steuererleichterungen für Unternehmen diskutiert, die kürzere Arbeitszeiten einführen würden? Warum gehen die Gewerkschaften jetzt nicht daran, wenigstens einen teilweisen Lohnverzicht bei Arbeitszeitverkürzung zu akzeptieren – und vielleicht bei den Tarifverhandlungen dafür wieder mehr zugunsten der unteren Einkommen umzuschichten? Warum wird nicht mit der Bundesanstalt für Arbeit über ein Teilzeitarbeitslosengeld diskutiert, immerhin könnten verringerte Arbeitszeiten auch die Arbeitsämter entlasten? Warum wagt sich eigentlich keine politische Partei ernsthaft an eine Diskussion um Arbeitsumverteilung, statt ständig die Standortprobleme Deutschlands herunterzubeten? Im europäischen Vergleich stünde die Bundesrepublik mit solchen Vorstößen immerhin gut da: Sowohl in Frankreich wie jetzt auch in Spanien wird die Viertagewoche derzeit heiß diskutiert. Barbara Dribbusch
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