Neue Tarife für den Einzelhandel: Arbeitgeber wollen Lohnerhöhung light
Ver.di und die Arbeitgeber im Einzelhandel streiten über Geld. Einig sind sich die beiden Tarifpartner, dass es Mindestlöhne geben soll. Nur die Höhe ist noch unklar.
BERLIN taz | Vor der dritten Tarifrunde für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen am Dienstag sind die Positionen unversöhnlich: Die Gewerkschaft Ver.di fordert, wie auch in einigen anderen Bundesländern, 6,5 Prozent mehr Lohn, die Arbeitgeber bieten 1,5 Prozent. Eine "Provokation" hat Ver.di-Verhandlungsführerin Liselotte Hinz das genannt, liege doch die Inflationsrate schon bei 2,4 Prozent.
Landauf, landab wird derzeit in den Ländern über neue Tarifverträge für den Einzelhandel gestritten, mehrere Warnstreiks inklusive. Weil es seit den 1920er Jahren nicht die eine, zentrale Verhandlung gibt, sind die Auseinandersetzungen bisher kaum in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Dabei zählt die Branche mit rund 2,8 Millionen Beschäftigten zu den größeren.
Laut Heribert Jöris, Geschäftsführer des Handelsverband Deutschland (HDE), steht die Branche solide da. "Es gibt keine dynamische Entwicklung, aber auch keine Katastrophen." Der Einbruch in der Wirtschaftskrise sei überwunden, man habe fast wieder den Umsatz von 2008 erreicht. Der lag bei rund 408 Milliarden Euro.
Konstant nach oben entwickelt haben sich trotz Krise die Gewinne nach Steuern. 2010 betrugen sie 17,6 Milliarden Euro, hat das Wabe-Institut nach Bundesbankzahlen errechnet.
"Beim Angebot der Arbeitgeber muss sich deutlich noch etwas nach oben bewegen", sagt deswegen Verdi-Sprecherin Cornelia Haß. Jöris sagt, man sei an der "Grenze der Belastbarkeit".
Einiger sind sich beide Seiten bei der Frage nach Mindestlöhnen: "Wir wollen nach unten eine Grenze einziehen", sagt Jöris, auch wegen "einzelner Fälle, wo Unternehmen über die Stränge geschlagen sind", sprich: Lohndumping betrieben hätten. Bei Ver.di hofft man, dass Details bereits Anfang Juli stehen. Die Bundesregierung soll den Mindestlohn dann für branchenweit gültig erklären.
Eine konkrete Forderung gebe es noch nicht, sagt Haß. "Aber wir bewegen uns eher in Richtung 10 Euro." Das trifft beim HDE auf wenig Gegenliebe. Jöris spricht von einem Korridor von "knapp sieben Euro bis 8,70 Euro". Beide Seiten warnen auch vor der Gefahr, einzelne Arbeitgeber könnten in Zukunft nur noch Mindestlöhne statt höherer Tariflöhne zahlen.
Mit einer weiteren Forderung beißt Ver.di jedoch auf Granit: Die Gewerkschaft will den Einsatz von Leiharbeitern eindämmen und erreichen, dass ihnen die gleichen Löhne wie der Stammbelegschaft gezahlt werden. Schmerzhaft mussten Beschäftigte 2007 feststellen, dass ihre Streiks durch Leiharbeiter unterlaufen wurden.
Doch Jöris hält dagegen: "Das ist nicht unser Bier. Fragen wie Equal Pay muss Ver.di mit den Zeitarbeitsfirmen regeln." Er kann auch die Kritik an der stetigen Zunahme von 400-Euro-Jobs nicht nachvollziehen. 2010 gab es im Einzelhandel über 930.000 solcher Stellen.
"Viele, darunter Studenten und Rentner, wollen gar nicht mehr arbeiten." Nur über geringfügig Beschäftigte könne man in Läden Ansturmspitzen auffangen. "Vollzeitkräfte wären da zu teuer."
Ver.di klagt, viele Frauen wollten sehr wohl Vollzeit arbeiten. "Denn bei einer Trennung oder in der Rente rutschen sie in die Altersarmut." Die Minijobs schüfen noch ein Problem: "Befristet und geringfügig Beschäftigte trauen sich kaum, ihre Rechte einzuklagen", sagt Haß.
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