Neue Runde im Streit ums Atomklo: Der Osten hat eins, der Westen hat keins
■ Nach dem spektakulären Baustopp am Gorlebener Endlagerschacht hat sich der Entsorgungsnotstand für die westdeutsche Atomgemeinde neu zugespitzt. Oder doch nicht?
Die Landesregierung informiert: Ausstieg aus dem geplanten atomaren Endlager Gorleben“, heißt es auf der rot-weißen Stellwand hinten auf der kleinen Bühne des überfüllten Kneipensaals in Gorleben. „Heilfroh bin ich, daß hier nach elf, zwölf Jahren endlich Ausstieg steht“, begeistert sich ein Landwirt, und ein anderer Gorlebener dankt an diesem Montag abend gar „der Landesregierung“. Ministerpräsident Gerhard Schröder und die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn sind eigentlich nach Gorleben in die „Alte Burg“ gekommen, weil Landeswirtschaftsminister Peter Fischer sich vor gut zwei Wochen über die rot-grüne Koalitionsvereinbarung hinwgegesetzt und den Weiterbau des Gorlebener Endlagerschachtes per „Hauptbetriebsplan“ genehmigt hatte. Doch die Endlagergegner, die im Saal die übergroße Mehrheit stellen, sparen am Ende nicht mit Beifall für die rot- grüne Landesregierung. Selbst die rot-weiße Stellwand muß der Sprecher der Landesregierung schließlich „als Andenken an die Veranstaltung“ in Gorleben zurücklassen.
Nur umweltfreundliche Arbeitsplätze sind auf Dauer sicher
Doch auch die Befürworter des Endlagers haben diesmal den Weg in die „Alte Burg“ gefunden. Es sind die Arbeiter und Angestellten der „Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern“ (DBE), die frühzeitig die beiden langen Tische links und rechts der Bühne besetzt haben und im Laufe des Abends immer bierseeliger und laustärker ihre Arbeitsplätze verteidigen. Gerhard Schröder „findet“ es natürlich von vornherein „gut, daß auch die „Befürworter gekommen sind“, vor denen er noch einmal zu begründen hat, „daß ein atomares Endlager in Gorleben nicht zugelassen werden darf“. Der Ministerpräsident erinnert daran, daß für Gorleben heute eine andere „Sicherheitsphilosophie“ gelten soll, als vor zehn Jahren bei der Auswahl des Standortes. Anstelle des sicheren Abschlusses des Atommülls von der Biosphäre durch drei Barrieren gehe man jetzt davon aus, daß die radioaktiven Emissionen aus dem Endlager 30 Millirem nicht übersteigen dürften. Selbst sein Amtsvorgänger Ernst Albrecht (CDU) habe noch 1987 im Landtag vom Endlager einen völligen Abschluß des Atommülls von der Biosphäre verlangt, doch davon gehe kein Experte mehr aus.
Durch den steigenden Entsorgungsdruck sieht Gerhard Schröder „eine schreckliche Logik auf diesen Landstrich und Niedersachsen“ zukommen. Bei einem Weiterbau werde am Ende der Druck so stark werden, „daß unabhängig von einer naturwissenschaftlich begründeten Eignung hier entsorgt werden wird“. Dann werde eben die Sicherheitsphilosophie noch einmal geändert und „wir sind hier gekniffen“, sagt Gerhard Schröder dann unter dem Beifall der AKW-Gegner und begründet damit, daß „wir jetzt eingreifen müssen“. Den Arbeitern der DBE, die immer wieder eine Fortsetzung der Erkundungsarbeiten in Gorleben verlangen, entgegnet der Ministerpräsident schließlich, daß nur umweltfreundliche auf Dauer auch sichere Arbeitsplätze sind.
Töpfer will Hannover zum Vollzug zwingen
Daß der niedersächische Wirtschaftminister Fischer mit der Genehmigung des Hauptbetriebsplans alles andere als die Beendigung der Arbeiten in Gorleben in die Wege geleitet hat, erwähnte Gerhard Schröder in seinem Dialog mit dem DBE-Arbeitern allerdings mit keinem Wort. Es blieb dem Grünen-Landtagsabgeordnenten Hannes Kempmann schließlich vorbehalten, dies klar auszusprechen. „Wir sind allerdings auf dem besten Wege, diesen Fehler zu korrigieren“, sagte Kempmann. Die juristische Auseinandersetzung dreht sich inzwischen um die „sofortige Vollziehbarkeit dieses Hauptbetriebsplanes“. Das Wirtschaftsministerium hatte den Plan zwar genehmigt, aber seinen Vollzug ausgesetzt, nachdem fünf Anwohner Widerspruch eingelegt hatten. Durch eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg will Bundesumweltminister Töpfer nun die Landesregierung zwingen, den Plan sofort für gültig zu erklären.
Das öffentliche Interesse überwiegt...
Ob die Arbeiten in Gorleben fortgesetzt werden können, sei jetzt eine Frage der juristischen Auseinandersetzung, so sagte es Gerhard Schröder. Der SPD-Politiker ließ allerdings keinen Zweifel daran, daß die Landesregierung sich den Entscheidungen der Gerichte beugen werde und fügte hinzu: „Es mag auch sein, daß die Landesregierung sich mit ihrer Position nicht durchsetzt.“ Ohne seinen Witschaftminister zu erwähnen, erklärte Schröder auch, „daß wir die Zulassung des Hauptbetriebsplanes für rechtwidrig halten“. Die Landesregierung sei dabei, die Voraussetzung für die Rücknahme des Hauptbetriebsplanes zu schaffen. Dies gehe aber nur in einem Verfahren, in dem die Betroffen angehört würden.
Daß es auch bei einer Niederlage vor Gericht in der Auseinandersetzung um den Hauptbetriebsplan für die Landesregierung noch weitere Möglichkeiten gibt, den Schachtbau zu stoppen, das wurde in Gorleben schließlich aus Frage des Grafen Andreas von Bernstorff deutlich. Der Graf besitzt einen Großteil der Abbaurechte an dem Salz, in dem das Gorlebener Endlagerbergwerk aufgefahren werden soll und fragte, ob denn die „Bundesregierung die Landesregierung zwingen kann, mich zu enteigen“. Der Jurist Schröder beantwortete diese Frage mit Hinweis auf die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, nach der bei Enteignungen „das öffentliche Interesse das Interesse des zu Enteigneten bei weitem überwiegen muß“. Er könne es sich nicht vorstellen, sagte der Ministerpräsident dann, daß eine Landesregierung, für die ein Endlager Gorleben nicht im Öffentlichen Interesse liege, „ihre Salzrechte enteignet, weil dies angeblich im Öffentlichen Interesse liegen soll“. Ohne Enteignung der Salzrechte könnte allerdings der Bund nur die Schächte des Endlagers, nicht aber das weiter unter dem Besitz des Grafen gelegene Bergwerk bauen. Jürgen Voges, Gorleben
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