Neue "Risiko"-Version: Auf nach Stalingrad!
Das Brettspiel "Risiko" sei zu martialisch, hieß es in den Achtzigern. In einer neuen Version können deutsche Truppen in Polen einfallen - und niemand stört sich dran.
Wenn ein Brettspiel Streit sät, dann normalerweise zwischen den Mitspielern. An "Risiko" allerdings haben sich schon ein Ministerium, zwei Jugendämter, eine Bundesprüfstelle und die Justiz abgearbeitet. Seit fast fünfzig Jahren gibt es das Spiel in Deutschland. Es gilt, in Würfelduellen die Armeen der Mitspieler von der Weltkarte zu fegen um geheime Missionen zu erfüllen oder Land für Land die ganze Welt zu erobern. In friedensbewegteren Zeiten war allein diese Grundidee schon Provokation genug für gerichtliche Auseinandersetzungen.
Heute hingegen provoziert "Risiko" mit einer Europa-Variante, bei der man etwa von Deutschland aus Frankreich oder Polen angreifen kann, und mit einer Spielanleitung, die als Beispielzug einen Russlandfeldzug vorführt - bislang ohne Konsequenzen.
Ihren damaligen Höhepunkt erreichte die Kritik an "Risiko" in den Jahren 1981 und 1982: Gleich drei Behörden wollten das Spiel auf dem Index sehen. Das rheinland-pfälzische Sozialministerium, das Gelsenkirchener Jugendamt und das Jugendamt des nordrhein-westfälischen Kreises Steinfurt stellten nacheinander den gleichen Antrag bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften: Der Verkauf von "Risiko" an Minderjährige solle verboten werden.
Dies ist ein Text aus der sonntaz, die am 20. März erscheint – unter anderem mit einem Interview mit drei Menschen, die Terroristen gewesen sein sollen, dem Lebenswerk eines Erdsammlers und der Entdeckung der Verwandtschaft von Sex und Marschieren. Das alles ab Samstag am Kiosk.
Um dem Verfahren zu entgehen, machte die Herstellerfirma Parker einige Zugeständnisse: So wurden die Anweisungen, Armeen zu "vernichten", in "besiegen" umformuliert, und wer ein Land unter seine Kontrolle brachte, war bald kein "Eroberer" mehr, sondern ein "Befreier".
Zufrieden zogen das Sozialministerium und das Gelsenkirchener Jugendamt ihre Anträge zurück. Die Steinfurter Kollegen indes hielten die Änderungen lediglich für eine "kosmetische Operation" und gaben nicht nach. Mit Erfolg: Die Bundesprüfstelle setzte "Risiko" als "kriegsverherrlichend" auf den Index. Das Spiel stelle "das Führen von Angriffs- und Eroberungskriegen als etwas Selbstverständliches und Erstrebenswertes hin", urteilten die Prüfer, und es beeinträchtige die "Sozialisation von Kindern zu sozialethisch verantwortungsbewussten mündigen Bürgern".
Das ließ Parker nicht auf sich sitzen. Der Hersteller klagte durch zwei Instanzen - und die Jugendschutzbehörde verlor: Das Oberverwaltungsgericht Münster bescheinigte den Prüfern, ihre Indizierung beruhe "auf einer eklatanten und außerhalb jeden vernünftigen Rahmens liegenden Fehleinschätzung". Schließlich spielten bei "Risiko" abstrakte, sternförmige Plastiksteine auf einer Weltkarte mit nur 42 Ländern, "die durchweg keine Identität mit tatsächlich existierenden Staaten und ihren Begrenzungen aufweisen". Dies alles sei gegenüber echtem Kriegsgeschehen so verfremdet, da könne man genauso gut Schach für kriegsverherrlichend halten.
Den sechs Jahre währenden Behörden-Hickhack von damals nutzt Hasbro - der Spielekonzern hat Parker mittlerweile geschluckt - inzwischen als Werbung: "25 Jahre nach der Indizierung des Spieles Risiko darf man jetzt wieder angreifen und erobern", frohlockte die Firma vor anderthalb Jahren in einer Pressemitteilung.
Natürlich wird heute niemand mehr einem Brettspiel vorwerfen, Jugendliche "sittlich zu gefährden", wenn gleichzeitig die erfolgreichsten Computerspiele jene sind, die fast Kinoqualität dabei erreichen, aus einem erschossenen Gegner ein Feuerwerk aus Blut hervorplatzen zu lassen. Aber wie sich die "Risiko"-Macher beim Versuch gebärden, Anschluss an den Realismus moderner Kriegsspielästhetik zu halten, muss man nicht sympathisch finden.
Seit anderthalb Jahren nämlich liegt eine "Risiko"-Variante vor, die auch nach heutigen Maßstäben fragwürdig ist: "Risiko - Das Duell", die Ausgabe für zwei Spieler, holt den Krieg nach Europa. Nicht etwa eine absurd verzerrte Landkarte wird da bespielt, auch keine aus Napoleons Zeiten. Im Wesentlichen ist es eine Karte der Europäischen Union von heute, auf der die Spieler ihre Armeen kämpfen lassen. Deutschland und Polen trennt die Oder-Neiße-Linie, Tschechien und die Slowakei sind eigenständige Staaten, auch Slowenien ist unabhängig. Griechenland und die Iberische Halbinsel liegen zwar außerhalb des Feldes, dafür sind etwa Moldawien, Weißrussland und Russland Teil des Schlachtfelds.
Ein Detail erscheint dabei besonders heikel. In der Spielanleitung wird das Prinzip der Truppenbewegungen mit folgendem Beispielzug erläutert: "Am Ende Ihres Zugs dürfen Sie Ihre Einheiten von Deutschland durch Polen und Weißrussland nach Süd-Russland ziehen". Daneben zeigt die Illustration jene Marschroute, die so unangenehm vertraut ist: Warum werden die Spielregeln ausgerechnet anhand eines Zuges erklärt, der stark an den Russlandfeldzug der deutschen Wehrmacht ab 1941 erinnert?
Purer Zufall, beteuert das Unternehmen: "Jegliche Assoziationen zur Zeitgeschichte sind definitiv nicht beabsichtigt." Den Entwicklern des Spieles sei da jedenfalls keine historische Parallele aufgefallen. Dass bisher auch noch kein Kunde protestiert habe, "mag vielleicht mit mangelndem Geschichtswissen der Spielerschaft einhergehen", meint Firmensprecher Jörg Mutz. "Den Spielern ist das Setting wurst", solange das Spiel funktioniere. "Da könnte genauso gut ,Alice im Wunderland' draufstehen."
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