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Neue Prognose für KlimawandelEin halbes Grad zu viel

Vermutlich wird es nicht gelingen, die Erderwärmung auf 2 Grad zu begrenzen. In Brüssel bekämpft die Bundesregierung trotzdem weiter die Pläne des EU-Umweltausschusses.

Mit 2,4 Grad Temperaturerhöhung würde die kritische Marke von zwei Grad durchbrochen werden. Bild: dpa

Der Klimawandel könnte weitaus schneller und drastischer verlaufen als bisher angenommen. Das ist das Ergebnis mehrerer Studien, die Wissenschaftler des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, des Instituts für Weltwirtschaft Kiel und des Max-Planck-Instituts für Meteorologie zusammen mit Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) am Donnerstag vorgestellt haben.

Den Studien nach steigt der Meeresspiegel bis 2100 um knapp einen Meter an - bisher gingen Forscher von maximal 60 Zentimetern aus. Auch die Erwärmung der Erdatmosphäre könnte nach den neuen Berechnungen über dem bisher erwarteten Wert liegen: mit prognostizierten 2,4 Grad für die mittlere globale Temperaturerhöhung würde die kritische Marke von zwei Grad durchbrochen werden. Diese gilt als der maximale Wert, bei dem die Auswirkungen des Klimawandels noch beherrschbar blieben.

"Mit einer Steigerung um mehr als zwei Grad würden sogenannte Kipp-Elemente das Klimasystem zusätzlich belasten", erklärt Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Als solches Kipp-Element gilt zum Beispiel das Eis in der Arktis. Würde das abschmelzen, stiege nicht nur der Meeresspiegel stärker; zudem würden große Mengen Treibhausgase freigesetzt, die zuvor im Eis gespeichert waren. Das würde die Erwärmung weiter verstärken.

Veerabhadran Ramanathan und Yan Feng, die ihre Forschungsergebnisse in der Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht haben, sehen als Ursache für den stärkeren Temperaturanstieg vor allem die Aerosole. Die kleinen Partikel, die unter anderem mit der Verbrennung von Kohle ausgestoßen werden, bilden eine Art Schirm um die Erde, der die Sonneneinstrahlung abmildert. Damit erwärmt sich die Erde nicht ganz so stark. Gleichzeitig reichert sich durch die Verbrennung jedoch auch Kohlenstoffdioxid an. Dies sorgt, ähnlich wie die Scheiben eines Treibhauses, für eine Erwärmung der Atmosphäre. Die beiden Effekte gleichen sich nicht aus, im Gegenteil: Das CO2 hält sich jahrzehntelang, die Aerosole nur wenige Jahre. Nimmt also der schützende Aerosolschirm ab und das CO2 bleibt, erwärmt sich die Erde noch stärker als zuvor.

"Gezielt Aerosole freizusetzen ist aber nicht die Lösung", warnt Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. Denn die Partikel haben Nebenwirkungen, verursachen Atemwegskrankheiten oder Krebs. Die Forscher fordern daher ein sofortiges Umdenken. In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren müsse die Kurve der globalen Emissionen nach unten gehen, appelliert Schellnhuber: "Jedes Zögern würde bedeuten, den Klimawandel gar nicht mehr stoppen zu können." Unterstützung kommt vom Bundesumweltminister: "Auch angesichts der konjunkturellen Situation gibt es keinen Grund, darüber nachzudenken, weniger in den Klimaschutz zu investieren", sagte Gabriel.

Umweltschützer dürften diese Ministerworte allerdings mit Skepsis hören. So sieht zum Beispiel der WWF gerade Gabriels Rolle bei den Verhandlungen zum EU-Klimapaket in Brüssel skeptisch. Zwar habe er sich gegen das Bundeswirtschaftsministerium durchgesetzt, sodass sich die Bundesregierung beim Emissionshandel für eine komplette Versteigerung der Verschmutzungsrechte im Energiesektor einsetzt.

Bei den großen Energieverbrauchern in der Industrie und der Automobilbranche wolle Gabriel aber die in der jüngsten Vergangenheit getroffenen und zum Teil recht ambitionierten Klimabeschlüsse des Umweltausschusses im Europaparlament aufweichen. In den nun kommenden abschließenden Verhandlungen sei die Bundesregierung "eine der Kräfte, die an den guten Sachen sägen wird", sagte Regine Günther, Leiterin Energie- und Klimapolitik beim WWF Deutschland.

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8 Kommentare

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  • B
    BADGIRLS_LILLY

    Ein gewichtiger Beitrag, um unter den 2 Grad zu bleiben wäre auch, v.a. in den Regionen der Welt mit kühlen Jahreszeiten, bis 2010 alle Wohn- und Bürogebäude, sowie alle Groß- u. Kleinhandelsgebäude mindestens (a) mit Drei-Scheiben-Wärmeschutzfenster mit gut dämmenden Rahmen und (b) besonders guter Wärmedämmung auszustatten. Darüber hinaus sollten und könnten mindestes 75% all dieser Gebäude (auch alte ! ) heutigen Passivhausstandards entsprechen.

     

    Ein Passivhaus benötigt im Jahr bei üblicher Nutzung nicht mehr als etwa 15 kWh pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr. Die notwendige Heizleistung ist so gering, dass ein Passivhaus sprichwörtlich mit Glühlampen beheizt werden könnte. Für eine 20 m² Zimmer würden - zur Veranschaulichung - zwei 100 Watt Lampen ausreichen- selbst im kältesten Winter. Dies entspricht einer Einsparung von mehr als 90% gegenüber dem durchschnittlichen Verbrauch in bestehenden Wohngebäuden. vgl. z.B. http://www.baudirwas.at/passivhaus.html

     

    Durch Nutzung von Wintergarteneffekten - schon bei der Planung, oder beim Umbau - und Ausstattung mit thermischen, ggf. auch photovoltaischen Anlagen, ggf. auch kleinen Windrädern, könnten sogar mindestens 25% bis 50% aller Wohn- Büro- u. Handels-Gebäude bis spätestens 2030 so etwas wie ein "Plusenergiehaus" werden.

     

    Unverschattete & stabile Dächer sollten gesetzlich verpflichtend mit thermischen oder photovoltaischen Solaranlagen auszustatten sein (nb: keine Cadmium...-Zellen, es gibt wahrlich andere).

  • A
    Anne

    o, pardon, ich glaube, ich hab' vorhin 2 falsche windradtypen-beispiele gebracht, denn mindestens 5 m lange rotorblätter, also 10 m kreisdurchmesser, sollten es schon sein für diesen zweck, und entsprechend höhere leistung, damit sich das aufstellen an autobahnen überhaupt lohnt.

     

    natürlich wäre das alles kein ersatz für viel größere offshorewindparks in wenigen km abständen zu den küsten aller europäischen (an welchem meer auch immer jeweils liegenden) länder, und den umbau und neubau von möglichst vielen gebäuden nach passivhausstandard u.s.w.

  • A
    Anne

    also ich wäre schwer dafür, besonders im relativ sonnenärmeren regionen wie nord- und mittel-europa, die windkraft schneller auszubauen, als bisher geplant, z.b. auf die mittelstreifen, und falls nicht zu nah am wald, dann auch die seitenstreifen aller autobahnen mittel- und nordeuropas alle paar hundert meter ein windrad zu bauen, am besten wohl versetzt, also zuerst auf der einen seite, dann ca. 330 m weiter in der mitte, dann wieder ca. 330 m weiter auf der anderen seite u.s.w., z.b. vom typ ML 3000 "Air" von Moratec oder vom typ Windflower ( vgl. http://www.windmission.dk ) oder andere, je nach standort (d.h. bei durchschnittlich stärkerem größere und entsprechend umgekehrt).

  • M
    michaelbolz

    @ pekerst und Karl

     

    tja auch hier lässt sich Goethe ausgraben: "vergeblich, dass ihr ringsum wissenschaftlich schweift, ein jeder lernt nur, was er lernen kann, doch wer den Augenblick begreift, das ist der rechte Mann (oder Frau;-))"

     

    Als ich im ersten Semester in Geschichte meine Hausarbeit mit einer im Beginn vorhandenen eigenen These abgegeben habe, wurde die nur Dank eines der letzten Gogos akzeptiert, der (m)eine eigene Haltung zum Thema akzeptiert hat. Aber er hat mich gleichzeitig gewarnt. Damit würde ich weiterhin nicht gut fahren, ich müsste in Zukunft mehr auf die kapitalistische Saldo-Argumentation achten - und mich insofern der Mehrheit anpassen (tatsächlich wurde ich in Folge dahingehend genötigt). Eine eigene Meinung zählt also erst wenn ich in der Politik bin, ein Volksheld, Al "Powerpoint" Gore oder Dr.Prof.phil.phil.anus. sonstwas.

     

    Aber zum Thema. Der vermeintliche Wohlstand und Fortschritt ist meiner Meinung nach reine Heuchelei. Wir stehen darin knietief in Müll, Blut und Scheiße, verursachen riesige Katastrophen und sind kaum ansatzweise bereit oder in der Lage uns damit kritisch und mit Fragen nach einer möglichen Wahrheit, nach Wahlmöglichkeiten subtil auseinanderzusetzen. Unwort: "Zeitgeist"

    Des "Wohlstands" und "Fortschritts" wegen verachten wir die denen inhärenten Probleme. Wer prüft sein Konsumverhalten? Reagiert durch Wahlverhalten und öffentliche Diskussion auf das Versagen der Politik? Entwickelt einen eigenen Standpunkt? Streitet? Was ist Wohlstand? Fortschritt?

    Was wir darunter zu verstehen meinen ist es mit anzunehmender Sicherheit (persönlicher Standpunkt) nicht. Bestenfalls in wenigen Sparten (jeder hat ein Handy, ein Labtop, Zentralheizung, Urlaub in der Karibik usf), die in einer Saldo-Rechnung (unter Ausschluss der 1ne Milliarde Armen wie im "Kapitalismus" von Herrn Wilke) derart hochgerechnet werden, dass daraus automatisch etwas Wunderbares entsteht. Alles andere ist wie stets schnöde linke Kritelei und moralisches Gedöns.

    Quo vadimus?

    Einen Sinn wird die Sache schon haben, wenngleich er sich mir bisweilen entzieht.

  • K
    Karl

    @ pekerst

     

    Gut gemeinte Worte, nur ob diese auch weitgehend naturwissenschaftsferne Menschen überhaupt erreicht?

    Und wollen sich die Angesprochenen ihren neuen Malleus Maleficarum überhaupt durch sachlich kritische Betrachtung ad absurdum führen lassen?

    Es ist doch ein gar zu einfaches Werkzeug um von kompexeren Zusammenhängen abzulenken. Allein auf die ideologisch motivierten Verdammungsansätze "Wie wir alle wissen..ist..verantwortlich" wären nicht nur Sprenger und Institoris stolz gewesen. Eine üble antisienzistische Weltsicht, eine beispiellose Vereinfachung um den Preis völliger naturwissenschaftsfreier Realitätsverleugnung, als "Begründung" reicht eben immer noch "Gott will es!" auch nach über 1000 Jahren.

     

    Was kannst Du erwarten von

    - Menschen, die sich überwiegend auf dem Niveau "ich kann aber 5 Veröffentlichungen mehr aufbieten..deshalb ist xy richtig" auseinandersetzen?

    - Menschen, die unwillig reagieren wenn sie nach der Uberprüfbarkeit ihrer Arbeitshypothesen gefragt werden?

    - Menschen, die Glauben und Wissen nicht sauber trennen können oder wollen?

    - Menschen, die Korrelation mit Kausalität verwechseln und jede Kausalitätsprüfung verweigern?

     

    Sieh doch die Ansätze der Kommentare, es kommen beliebige Vorschlage (völlig wertfrei gemeint) ohne jede belastbare Auskunft darüber was warum wieviel bringt und wie der Erfolg einzelner Maßnahmen wissenschaftlich überprüfbar ist.

     

    Da verspürt selbst der friedliche Mensch das Bedürfnis diesen Menschen den "Atkins" und das "Analytikum" solange um die Ohren zu hauen, bis diese verstanden haben was ihre Hypothesen so alles implizieren.

     

    Glück auf!

     

    Karl

  • V
    vic

    Tja, was tun? Solange solch wirtschaftsgesteuerte, realitätsferne Nieten das sagen haben wie derzeit, wird sich an der Klimapolitik nichts ändern...und das Volk wählt die gleichen Gestalten sie ja immer wieder in die Verantwortung.

  • BW
    bernhard wagner

    Ab 1. Jan 2009 ein Tempolimit von max. 100 km/h, dazu möglichst innerhalb einiger weniger Jahre eine Verlagerung von Hochtemperaturindustrien in Regionen zwischen den ungefähr 42. Breitengraden und dortige Betreibung mit Solarenergie (v.a Solarofen -Nutzung), wären 2 von vielen stark wirkenden Maßnahmen v.a. von Seiten hoch industrialisierter Länder, damit global die 2 Grad vielleicht doch noch erreicht werden.

     

    Auch endlich die Urwaldzerstörungen zu stoppen - z.B. auch durch Verbot von Tropenholz ohne FSC Siegel und ähnlichen Maßnahmen (vgl. z.B. Aktionen von http://www.foei.org , http://www.wwf.org , http://www.greenpeace.org ) hätte eine (im Vgl. zum Aufwand) relativ große Wirkung - davon abgesehen, dass es auch aus anderen Gründen angebracht wäre. Allein in den letzten 20 Jahren wurde z.B. mehr Amazonasurwald zerstört, als in der ganzen Zeit vorher seit ca. 500 Jahren.

  • P
    pekerst

    Ist es nicht traurig? In der ersten Zeile des Vorspanns zum Artikel ist genannt, um was es geht, die "Erderwärmung". Und was steht in der roten Überschrift? "Klimaerwärmung". Das ist ungefähr so wie mit der Frage an Radio Eriwan: "Können Schwule Kinder kriegen?" Antwort: "Im Prinzip nein, aber es wird immer wieder versucht." Und leider versuchen es auch nicht nur immer wieder irgendwelche Leute, in der taz, die unmögliche "Klimaerwärmung" unterzubringen, sondern es gelingt ihnen leider auch. Das Klima ist aber eine so komplexe und abstrakte Angelegenheit, dass seine "Erwärmung" unmöglich ist. Es ist schlicht und ergreifend die Erdatmosphäre, die erwärmt wird. Kann nicht mal jemand diejenigen, die für die Software der taz zuständig sind, bitten, dafür zu sorgen, dass beim Wort "Klimaerwärmung" - oder auch "Schuldenaufnahme", da doch der gemeine Mensch Kredite aufnimmt - eine Mitteilung kommt, dass es nicht um ein Wort geht, sondern um einen - richtigen - Begriff: Klimawandel oder Erwärmung der Erdatmosphäre oder auch Erderwärmung. Aber wie sagte schon Goethe? "Wenn Begriffe fehlen, stellt zur rechten Zeit ein Wort sich ein."