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Neue Platten kurz besprochen

von CHRISTIAN BECK

Overcome!

Vol. 1 – Preaching in Rhythm and Funk

Vol. 2 – Sanctified Soul and Holy House (beide Trikont)

Wie die religiösen Gemeinschaften im Süden der USA die Teufelsmusik des Funk und Soul zu ihren Gottesdienstzwecken urbar machten und dass dies niemals der Kardinalswiderspruch war, den unsere Großmütter uns noch weismachen wollten, hat der Musikjournalist Jonathan Fischer für die Münchner Compilation-Weltmeister Trikont in zwei handliche, wenn natürlich auch nicht ansatzweise erschöpfende Alben gepackt. „Preaching in Rhythm and Funk“ und „Sanctified Soul and Holy House“, zwei Perspektiven auf dieselbe Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits, die beim Hören allerdings nicht so recht zu unterscheiden sind.

Ob der ursprüngliche Impuls die Zwiesprache mit Gott war oder der Genuss an der Musik, läuft in den Ergebnissen ziemlich aufs selbe hinaus. Was der Qualität der versammelten Aufnahmen natürlich keinen Abbruch tut, deren wichtigste Ursache Fischer in den Booklets ganz richtig selbst vermerkt: „Anders als etwa der schwarze Pop unterlagen die Musiker innerhalb der afroamerikanischen Kirchen niemals den kommerziellen Zwängen eines am Crossover interessierten Marktes. Das macht bis heute die Stärke der Gospelmusik aus: Musik, wie sie Sonntag für Sonntag tausende von Gottesdiensten von Harlem bis Miami Beach befeuert. Gesänge, die die Macht haben, den heiligen Geist immer wieder herabzubeschwören: Overcome!“

Sharon Shannon

The Diamond Mountain Sessions (Grapevine/Koch)

Für den Berliner „Roots“-Ajatollah Wolfgang Doebeling mag das neue Album der ehemaligen Waterboys-Tourviolinistin, gemessen an den erheblich stilreineren Folk-Fingerübungen ihrer bisherigen Platten, reiner „Crap“ sein. Doch wie Shannon im Stück „Slan Le Van“ einen gewissen John C. Hoban die Nacht besingen lässt, als Van Morisson im Dezember 1993 im Masonic Temple in San Francisco auftrat und alle mal wieder hin und weg waren, sucht schon seinesgleichen. Eine der Topqualitäten des Folk bleibt – allen Unkenrufen von wegen „überholt“, „gestrig“, „tot“ zum Trotz –, den Alltag zu spiegeln, das wirkliche Leben, den Künstler, seine Emotionen, auch im Zeitalter des Techno noch. Was, so es denn geschieht, nicht selten im entscheidenden Plus an Lebendigkeit resultiert. „The Diamond Mountain Sessions“ liefern mit ihren Airs und Jigs und Reels im Country-, Rock- und Folk-Gewand noch ein, zwei Beweise mehr für diese These. Besonders zu erwähnen noch das von Bob Dylan bekannte Traditional „Man of constant Sorrow“, dem Gastsänger Jackson Browne hier einen Schwank aus seinem Leben hinzugefügt haben dürfte; oder das „Galway Girl“ mit Gastauftritt seines Komponisten Steve Earle, das dieser schrieb, als er in Galway eine Weile von den Dämonen seiner Drogenkarriere ausspannte.

Geoff Muldaur

Password (Hightone Records/Fenn Music Service)

Wie sich die Zeiten ändern: Mitte der Siebziger war Geoff Muldaur für den jungen Americana-Eleven in der europäischen Diaspora vor allem der Exmann Maria Muldaurs, die gerade mit „Midnight at the Oasis“ ihren ersten Hit gelandet hatte. Zuvor hatten die beiden unter anderem zwei grandiose Duo-Alben eingespielt, die noch heute als Maßstab für alte Musik in modernen Arrangements taugen. Danach sang sich Mutter Maria mit jedem weiteren Album einen weiteren Schritt vom Engel mit entsprechender Stimme und Haar zur Matrone mit Knödelorgan nach unten, während Geoff, ihr Ex, über seinem Programmierer-Job verstummte. Bis er sich vor drei Jahren mit „The secret Handshake“ wie der Phönix aus der Asche seiner Karriere erhob, dem er nun das endgültige „Password“ in die Ruhmeshallen folgen ließ: Er konnte am Ende wohl doch nicht lassen von seiner Suche nach den Folk-, Blues- und Vaudeville-Wurzeln der amerikanischen Rock- und Popmusik, die er zur steten Mahnung an sich selbst in die Erinnerung „Got to find Blind Lemon“ (Jefferson, Blues-Sänger, gest. 1930) gegossen hat.

„Part I“ zierte das 98er Comeback, „Part II“ wird nun im Rahmen eines Albums nachgereicht, das einen wundern macht, was mit einer Musikwelt los ist, die zwanzig Jahre lang auf einen Stilisten von solcher Eigenart, Klasse und Sicherheit wartet, ohne auch nur zu murren.

Dan Hicks

Beatin’ the Heat (Surfdog/TIS)

Wenn „hicks from the sticks“ Landeier sind, so tumb wie sie nur sein können, was sind dann Dan Hicks and the Hot Licks? Das Land ist Kalifornien, über das der Rest-Ami gerne auch schon mal ein Witzchen reißt wie dieses: Gott schüttelte die Welt, und wo die ganzen „nuts“ (Bekloppten) landeten, das wurde das Land, wo die Straßen mit Gold gepflastert sind und einem die gebratenen Hühner nur so ins Maul fliegen.

Weswegen dort auch öfter als irgendwo sonst einer dem Irrglauben verfällt, Mund aufsperren und schlucken sei schon genug. Was speziell mit Flüssigem fatale Folgen haben kann. Dan Hicks kann ein Liedchen davon singen – und tut dies auf „Beatin’ the Heat“, mit dem er nach über 20 Jahren in der Versenkung nun endlich zur Form seiner frühen Jahre zurückgefunden hat. „The Piano has been drinkin’“, leiht sich Hicks zum Thema einen Witz vom Heiligen der Barflys, Tom Waits, und dann bittet er diesen zum Duett: neben der völlig überkandidelten Bette Midler, dem immer schräger durch die Weltgeschichte musizierenden Elvis Costello und Rickie Lee Jones, die, wie jeder weiß, der sie mal live gesehen hat, auch allermindestens halb weggetreten ist.

Das Ergebnis ist eines der abgedrehtesten Alben aller Zeiten, ein Monolith an Eigenheit und dabei mitreißend wie lange nichts mehr: Rock ’n’ Roll trifft auf Swing und braut daraus eine Musik, für die es in ihrer Mischung aus Kompetenz, Überkandideltheit und Abgeklärtheit hier bei uns nur eine einzige Vergleichsmöglichkeit gibt – Helge Schneider! Nur, dass man zu Hicks auch noch tanzen kann.

Los Lobos

„El Cancionero – Mas y mas“ (Sire + Rhino/WEA/TIS (4 CD-Box)

Ist es ein Hauch von Tragik, der die glanzvolle 4-CD-Retrospektive der Wölfe aus East L. A. umweht? Die bisher (hierzulande) unveröffentlichten Stücke der Sammlung bringen an den Tag: Schmachtballaden von unglaublicher Meisterschaft und Kraft zu Beginn der Karriere („I’m sorry“, live 1984), Standard von ebenso unglaublicher Ödnis und Banalität in jüngster Zeit (Marvin Gayes „What’s goin’ on“ in einer Live-Version von 1997), Letzteres zudem mit Gastsängerin Sheryl Crow, die nach Los-Lobos-Maßstäben nun wirklich nicht mehr ist als bestenfalls eine Knallcharge.

Beweise dafür liefert „El Cancionero – Mas y mas“ en masse: Da ist noch einmal die rohe Kraft, mit der Los Lobos einst auszogen, Chicano-Klassiker wie „Guantanamera“ zu Rock ’n’ Roll zu machen; da sind die Souveränität und der Stolz, mit der sie den Chicano-Kollegen Richie Valens mit ihrem explizit latinogewürzten Soundtrack zum Valens-Biopic „La Bamba“ dem weißen Mainstream wieder entrissen, und das Genie, mit dem sie Gleiches mit „I wanna be like you“ aus Walt Disneys „Dschungelbuch“ taten. Und dann beginnen die guten Geister, sie immer mal wieder ein bisschen zu verlassen, resultiert musikalisches Genie zunehmend in gut gemachten, aber eigenartig emotionslosem Art-Rock und -Blues. Bleibt nur zu hoffen, dass ihr „What’s going on?“ nicht die hilflose Frage einer Band ist, die sich über ihren eigenen Weg nicht mehr klar ist.

Ryan Adams

„Heartbreaker“ (Bloodshot Records)

Ist es der Zweck, zu dem geistiger Diebstahl begangen wird, der den Unterschied macht? Und wie merkt man den Unterschied? Kaum jemals hat jemand seine Helden so unverblümt kopiert wie Ex-Whiskeytowner Ryan Adams dies an manchen Stellen seines Solodebüts „Heartbreaker“ tut. Und doch bekommt man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, da würde einer fremden Lorbeer ernten. Hommage ist das Zauberwort: „Come pick me up“ erinnert etwa an Neil Young, und der Opener „To be young (is to be sad, is to be high)“ entspricht Bob Dylans „Subterranean Song“ gar nicht nur in Struktur und Komposition, er ist auch ebenso fetzig und nicht einmal ein bisschen peinlich. Wenn auch natürlich nicht ansatzweise von der Bedeutung, die das Original einst hatte, aber welcher Musiker vermag bei aller Größe, die zu erreichen er schafft, schon die Welt zu bewegen mit seiner Kunst?

Eric Clapton

Reptile (WEA)

Dass Eric Clapton nicht mehr mit jedem Song Cream-Niveau erreicht und überhaupt ein bisschen sehr zum Mainstream neigt – geschenkt! Weil, es war nämlich so: Bei den Proben zur Show zu Bob Dylans 30. Bühnenjubliäum im Madison Square Garden am 15. Oktober 1992. Dunkle 22.000er-Halle, eine Handvoll Techniker bei der Arbeit. Und Clapton, dessen Sohn nicht lange zuvor aus dem Fenster eines Skyscrapers in Manhattan zu Tode gestürzt war, probt „Dont think twice“; schreit sich die Seele aus dem Leib, lässt seine Gitarre ein Solo in den leeren Laden klagen und versucht der Welt und sich selbst mit aller Macht des Musikers von Ewigkeitsrang einzureden: „It’s all right“.

Sollte es einen zweiten Musiker geben, dem es so ernst ist mit den heilenden Kräften seiner Musik: Wo ist er? Deshalb darf Clapton auch tun, wonach ihm ist, und alles wird gut. Wie die aalglatten Simon-Climie-Produktionen von seinem letzten Album „Pilgrim“ am Ende tatsächlich nahezu unendliche Tiefe haben, so mit Sicherheit auch der Blick zurück nun mit „Reptile“ in Zeiten, als Onkel Son und Tante Sylvia Klein-Eric musikalisch sozialisierten: Da swingen Bossa, Jazz, Balladen, da singt Clapton den Blues und zieht bei der Gelegenheit mit einem meisterhaften „Travelin’ Light“ auch gleich noch mal den Hut vor J. J. Cale, der ihm einst „After Midnight“ bescherte.

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