Neue Musik von Azita Youssufi: Klimpern zum Glück
C. G. Jung, No-Wave-Punkjazz, Teheran, Washington, D. C.: Viele Dinge beeinflussten die Singer-Songwriterin Azita Youssufi. Ihr neues Album ist wieder eine Gratwanderung zwischen ihnen.
Die US-amerikanische Musikerin Azita Youseffi ist klug. Ihr Debütalbum betitelte sie nach einem Begriff, der auf den griechischen Philosophen Heraklit zurückgeht und den C. G. Jung für die Tiefenpsychologie angewendet hat: "Enantiodromia".
Heraklit nahm einen Ausgleich der Elemente an, der begünstigt wird durch das in sich verschiedene und vom göttlichen Logos geregelte einträchtige Sein. Gerade die Gegensätzlichkeit verkehre alles in ihr Gegenteil. Als Beispiel führte er den Fluss an, dessen Wasser ständig wechselt und der doch immer der gleiche Fluss bleibt. Daraus folgerte Jung, erst die Entwicklung von Sinn in der menschlichen Existenz befähige den Menschen dazu, den ständig wechselnden existenziellen Anforderungen standzuhalten.
Azita Youseffi nun erklärt sich diesen Austausch als Ökosystem. "Es ist ein Bauplan für die stets nach Gleichgewicht suchende Tendenz der menschlichen Seele. Diejenigen Positionen, die das Bewusstsein am meisten beachtet, werden demnach von gegenläufigen Kräften unterminiert und ziehen dadurch im Unbewussten Energie auf sich", schreibt sie in einer E-Mail.
Mit "Enantiodromia" etablierte sich Azita Youssefi 2003 als eigenständige Singer-Songwriterin. Musik und Texte stammen aus ihrer Feder. Für andere mag solch eine künstlerische Geburt selbstverständlich sein, für Azita Youssefi war es die völlige Abkehr von ihrer Laufbahn als Bassistin in zwei in den Neunzigerjahren in Chicago aktiven No-Wave-Punkjazzbands namens Scissor Girls und Brides of No No.
Seinerzeit war Azita Teil einer improvisierenden, aber auch konfrontativen Do-it-yourself-Musikszene. Weder waren damals Rollen festgelegt, noch wurden Soloambitionen im Bandkontext geduldet. Meist standen die Auftritte im Zeichen von Performancekunst. Auch Azitas Youssefi Können am Piano war nicht gefragt.
Irgendwann reifte in ihr der Gedanke, dass das Organisatorische an einer Komposition doch schwieriger zu lösen sei als das freie Schweben durch die Musik. Auslöser war das alte Keyboard eines Mitbewohners, auf dem Youssefi zu klimpern anfing, wobei sie sich allmählich an die Höhen und Tiefen ihrer klassischen Musikausbildung erinnerte.
1971 wurde sie als Kind zweier iranischer Ärzte geboren, die in der amerikanischen Hauptstadt Washington, D. C. arbeiteten. Als sie zwei Jahre alt war, ging die Familie zurück nach Teheran, von wo sie 1979 in den Wirren der Islamischen Revolution wieder zurück in die USA floh. Ihre Kindheit war geprägt von Ausgrenzungen. In Teheran besuchte sie die amerikanische Schule und wurde zurückgestuft, weil sie Englisch mit starkem Akzent sprach. In Washington zeigten Mitschüler im Schulbus mit dem Finger auf sie und sagten: "Ihr habt Geiseln genommen!"
In Teheran gehörte ihre Familie zur akademischen Elite, nicht so in den USA. Ihr Vater schickte Azita Youssefi dennoch auf eine Eliteschule und ließ dem Mädchen eine Ausbildung zur Pianistin angedeihen. Der Kontrolle halber nahm er gleich selbst Klavierunterricht und pinnte den gemeinsamen Lehrplan an die Tür des Kinderzimmers. "Die kulturellen Unterschiede zwischen dem Iran und den USA erschienen mir gewaltig. Vor allem, weil mir niemand erklärte, dass ich sie überwinden kann. Mir kam es vor, als hätte man mich in einen Fluss geworfen, ohne mir zu sagen, wie ich schwimmen soll."
Schon im Teenageralter besucht Youseffi so oft sie kann Konzerte der integrierten Punkszene von Washington. 1989 übersiedelt sie nach Chicago und besucht die Kunsthochschule "Art Institute". Sie studiert Malerei und Klangkunst, verliert aber das Interesse an bildender Kunst, "weil ich nicht erraten konnte, wie die Menschen auf meine Werke reagieren würden".
Auf ihrem zweiten Soloalbum "Life on the Fly" (2004) singt Azita Youssefi im Titelsong die preisverdächtigen Zeilen "I plan on doing nothing with premeditation/when I get to Hollywood". Ihr Englisch ist nicht akzentfrei, wenn sie dem Wort "premeditation" (Vorsatz) eigenwillig, aber stilvoll entlanghangelt, macht gerade das den Charme aus.
"Der Text hat komödiantische Untertöne. Die Protagonistin verschiebt etwas auf die Zukunft, in der die Lebensbedingungen besser sein könnten." Bis dato ist Azita Youssefi nicht in Hollywood gelandet. Trotzdem startet die Künstlerin ihr neues Album "How will you?" mit dem programmatischen Song "Im happy". "Im happy / youre happy /these hours talk to tell / Very far from now to the pockets of past /This job is not a taker".
Glück ist im Pop die wohl inflationärste aller besungenen Gemütszustände. Seine Verwendung folgt kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten, hat sonst aber keinen tieferen Sinn. Wenn Azita Youssefi über Glück singt, gelingt ihr eine Gratwanderung. Sie beachtet die glitzernde Oberfläche der Songform, intoniert ihren Text aber andererseits so, als sei Glück von der Schwerkraft des Nichtssagenden befreit. Dank einer Baritonstimme mit großem Umfang kann sie diesen Gemütszustand plastisch darstellen.
"Ich und du in dem Text sind zwei Menschen, die viel Zeit miteinander verbracht haben. Und ihr Glück beruht auf der Erkenntnis von Ausgeglichenheit und Beständigkeit. Das Glück ist eher gewöhnlich denn ekstatisch. Dazu möchte ich Freud zitieren, der zwei Bedingungen genannt hat, die für Glück notwendig sind: zu lieben und zu arbeiten. Die Verben erscheinen mir wichtig, er hat ausdrücklich nicht von Liebe und Arbeit gesprochen. Wenn ich das jetzt auf meine eigene Kariere als Musikerin anwende, ich liebe Musik, ich mache Musik und ich denke oft daran, was ich mit ihr noch alles anstellen möchte. Mehr ist aber nicht dahinter."
Ihre Stimme klingt heiser, schroff. Die Haare auf den Zähnen verschaffen sich öfter Gehör. Aber gleichzeitig hört man aus ihrer Stimme auch das Feinfühlige heraus. Den Versuch, komplexe Verhältnisse mit Tönen und Texten abzubilden, versteht sie als Herausforderung. Ihre Musik klingt urban, ganz anders als die ewige Pastorale und Einsamkeitsfixierung amerikanischer Singer-Songwriter.
Azitas Youssefis Songwriting kann in ähnlich obskure Traumlandschaften eintauchen wie die Musik von Robert Wyatt oder Kevin Ayers und anderen Protagonisten des britischen Artrocks der Siebzigerjahre. Jedenfalls weiß man beim Hören nie genau, wohin diese Songs führen werden. Zudem ist diese Stimme auch ein Instrument, das dem Klavierspiel Konkurrenz macht.
Man darf es aber nicht überhören. Sie hat das Saloonpiano drauf. Souverän überführt die Künstlerin aber auch Duke-Ellington-artige Stridemelodien in den Kontext einer trockenen Rockinstrumentierung. Dann spielt sie auch prägnante, riffartige Figuren, um die Gesangsmelodien abzupolstern. Ihre Musik wurde schon mit dem süffigen Songwriting des Duos Steely Dan verglichen. Wo Steely Dan in ihrer Virtuositätsparade letztendlich hermetisch und distanziert bleiben, geht es bei Azita Youssefi immer um eine Kommunikation mit der Außenwelt. "Der Elan, mich so auszudrücken, dass man mich versteht, diese Energie steht ganz am Anfang meines Songwritings."
Azita "How will you?" (Drag City Records/Rough Trade)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?