Neue Idee für Energiewende: Bürger wollen Stromleitung finanzieren
Arbeitsgemeinschaft kleiner Energieproduzenten will Hochspannungsleitung an der Nordseeküste auf die Sprünge helfen. Diese soll es möglich machen, den zunehmenden Windstrom zu transportieren.
HAMBURG taz | Eine Gruppe schleswig-holsteinischer Unternehmer und Bürger wollen in den Aus- und Umbau des Stromleitungsnetzes einsteigen. Konkret geht es um eine neue Höchstspannungsleitung entlang der Westküste, die gebraucht wird, um den Strom aus den Offshore-Windparks in der Nordsee und den aufgerüsteten Windrädern an Land gen Süden zu transportieren. Die Arge Netz, ein Verbund von 180 Erzeugern Erneuerbarer Energie, plant dazu eine Beteiligungsgesellschaft.
"Wir streben nicht an, die Leitung alleine zu bauen", sagt Reinhard Christiansen, einer der drei Geschäftsführer der Arge. Es gehe eher darum, die Privatleute als zusätzliche Geldgeber zu gewinnen, damit der Bau schneller vorangehe. Und nebenbei lasse sich noch ein wenig Geld verdienen.
Die Arge Netz schätzt, dass schon heute ein volkswirtschaftlicher Schaden von zehn Millionen Euro jährlich entsteht, weil in Nordfriesland mehr Windstrom erzeugt wird, als abgeführt werden kann. Ist der Wind zu günstig, müssen die Anlagen gedrosselt oder abgestellt werden. Der Strom, der in dieser Zeit erzeugt werden könnte, wird den Anlagenbetreibern trotzdem vergütet und verteuert nutzlos die Stromrechnung.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Schleswig-Holstein, insbesondere der Windkraft, ist wesentlich für die Energiewende.
Heute sind im Land Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von gut 3.000 Megawatt (MW) installiert. Die Landesregierung geht davon aus, dass dies 2020 sehr viel mehr sein wird. Das geschieht auf zwei Wegen:
Repowering: Alte Anlagen, vor allem von vor 2005, werden durch leistungsstärkere ersetzt, so dass 2020 rund 4.000 MW an Land erreicht werden könnten.
Offshore: Windparks werden ins Meer gebaut. In 15 Jahren könnten dort 3.000 MW erreicht werden.
Der grüne Abgeordnete im Kieler Landtag Detlef Matthiesen geht davon aus, dass sich dieses Problem in den nächsten Jahren schnell verschärfen wird. Schleswig-Holstein sei gerade dabei, weiter Eignungsflächen für Windenergieanlagen auszuweisen. Nach einem Beschluss des Landtages sollen dafür künftig 1,5 statt ein Prozent der schleswig-holsteinischen Landesfläche zur Verfügung stehen.
Überdies sollen bestehende Windräder durch solche mit mehr Leistung ersetzt werden. Statt einer Gesamtleistung von drei oder vier Gigawatt ließen sich dann alleine an Land neun Gigawatt erreichen. Dazu könnten nach einer Schätzung der Kieler Landesregierung von 2007 gut drei Gigawatt auf See kommen.
Was hier an Strom erzeugt werden könne, bedeute für Schleswig-Holstein "eine gigantische Wertschöpfung", sagt Matthiesen. Um die Energie abführen zu können, hält der niederländische Netzbetreiber Tennet zusätzliche Höchstspannungsleitungen für nötig: eine 380-Kilovolt-Leitung an der Ostküste von Kiel über Fehmarn nach Lübeck, eine weitere entlang der Westküste von Niebüll nach Brunsbüttel.
Tennet hat 2009 das schleswig-holsteinische Übertragungsnetz übernommen. Die Gesellschaft erzeugt selbst keinen Strom. Matthiesen vermutet daher, dass es ihr nicht ganz leicht fallen dürfte, in den Netzausbau zu finanzieren. Um diesen an der Westküste zu beschleunigen, schwebt ihm ein "Bürgerenergienetz Nordfriesland - Dithmarschen" vor. Mit Hilfe einer Beteiligungsgesellschaft könnte dieses modellhaft von BürgerInnen kofinanziert werden - mit einer Rendite von schätzungsweise vier Prozent.
Vorbild dafür sind Bürgerwindparks, mit denen die Leute von der Arge Netz reichlich Erfahrung haben. Allein Arge-Geschäftsführer Christiansen führt noch bei sechs anderen solcher Gesellschaften und einem Umspannwerk die Geschäfte. "In kürzester Zeit hätten wir 10.000 Leute, die sich beteiligen würden", schätzt Christiansen. Das sei bei dem am Ende gescheiterten Bürgerwindpark Butendiek nicht anders gewesen. Erste Interessenten hätten sich schon gemeldet, obwohl es noch keine konkreten Pläne gebe.
Matthiesen hat die Idee schon einmal dem Netzbetreiber Tennet vorgestellt. "Die waren sehr interessiert, als ich das angeregt habe", berichtet er. Der Landtagsabgeordnete hofft, dass sich neue Leitungen leichter durchsetzen lassen, wenn BürgerInnen von ihnen profitieren.
Darüber hinaus gelte es jedoch, die Bevölkerung früher als bisher über einschlägige Pläne zu informieren - und dafür zu sorgen, dass diese auch beurteilt werden können.
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