: Neue Giftwelle im Rhein droht
■ Chemikalienablagerungen im Rheinbett bei dem Basler Chemiekonzern Sandoz werden im Falle von Hochwasser abgeschwemmt / Trinkwasser–Alarm in den Rheingemeinden zu Ende / Ciba–Geigy mauert weiter
Basel/Hamburg (dpa) - Dem Rhein droht nach seiner katastrophalen Chemikalien–Verseuchung, die durch den Großbrand in dem Basler Chemiekonzern Sandoz verursacht worden war, neue Gefahr. Kaum war am Wochenende der Trinkwasser–Alarm an den Rheinufern der Bundesrepublik aufgehoben, wurde bekannt, daß im Flußbett vor dem Werksgelände des Basler Chemiekonzerns Sandoz auf einer Länge von mehreren 100 Metern Chemikalien abgelagert sind, die nur langsam weggeschwemmt werden. In einem Interview des Nachrichtenmagazins Der Spiegel bejahte Sandoz–Vorstand Hans Winkler die Frage, daß mit einer neuen Giftwelle gerechnet werden müsse, falls Hochwasser die Strömung verstärkt. Der Konzern gebe sich jedoch „Mühe“, die Ablagerungen schnell zu beseitigen. Überall am Rhein werden zur Zeit Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um gegen eine mögliche neue Gefahr gewappnet zu sein. Winkler räumte in dem Spiegel–Interview auf Fragen nach einer Gesundheitsgefahr für die Basler Bevölkerung auch ein, daß bei der unvollständigen Verbrennung der Chemikalien auf dem Werksgelände von Sandoz, die mit Löschwasser in den Rhein geschwemmt worden waren, unbekannte Produkte entstanden sein könnten. „Von einer möglichen Langzeitgefährdung solcher Stoffe wissen wir aber noch nichts“, sagte er. Winkler bestritt, daß Sandoz „illegal gearbeitet“ habe. Die Frage sei vielmehr, ob die „bestehenden gesetzlichen Vorschriften in allen Teilen ausreichend waren“. Daß es keine Auffangbecken für Löschwasser gegeben habe, müßte korrigiert werden, meinte Winkler. Er betonte erneut, daß der Konzern für die Schäden aufkommen werde. Bundeskanzler Helmut Kohl hat derweil sein Befremden über die Umstände geäußert, die zur Verseuchung des Rheins geführt haben. Der Kanzler erklärte am Sonntag, es sei in jeder Weise unverständlich, daß nach den ökologischen Erfahrungen der letzten Jahre etwas derartiges überhaupt habe passieren können. „Was hier vorgekommen ist, ist völlig unerträglich.“ Die Schweizer Behörden müßten deutlich machen, was sie gegen diese Art von Umweltkriminalität zu tun beabsichtigten. Der Wassernotstand in den Rheingemeinden Unkel und Bad Hönningen (Kreis Neuwied) ging am Wochenende zu Ende. Lediglich in den Bad Hönninger Ortsteil Leutesdorf wurde noch über eine zweieinhalb Kilometer lange Schlauchleitung Trinkwasser aus Neuwied gepumpt. Der Schweizer Chemiemulti Ciba–Geigy blieb unterdessen bei seiner Darstellung, daß kurz vor dem Sandoz–Brandunglück und in den folgenden Tagen „nur“ insgesamt 400 Liter des Unkrautvernichtungsmittels Atrazin vom Geigy–Gelände in den Rhein flossen. Zu den Vorwürfen, es habe eine „Dauereinleitung“ durch den Konzern gegeben, wollte eine Sprecherin des Unternehmens in Basel am Samstag noch immer nichts sagen. Requiem für toten Rhein in Basel Mit einem „Requiem für den toten Rhein“ gedachten Musikstudenten des Konservatoriums Basel am Samstag auf einer Rheinbrücke der Chemiekatastrophe nach dem Sandoz–Brand. Zuvor waren die rund 200 Teilnehmer unter Klängen von Trauermusik durch die Stadt marschiert.
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