Neue Gesprächsreihe: Gegen das Dauergelalle
Im Hamburger Fleetstreet-Theater unterhielt sich Moritz von Uslar mit dem Filmemacher Christian Petzold - über John Wayne und Beschimpfungswortschätze.
Udo Lindenberg ist auch da. Dann geht das Saallicht aus. Zu schnell, um die circa 20 anwesenden Spiegel-Kulturredakteure zu identifizieren. Eile ist geboten, denn "Keine Diskussion" heißt die angekündigte neue Gesprächsreihe im Hamburger Theater Fleetstreet. Fast alle Plätze sind besetzt. Sein Namensvetter, die Londoner Fleetstreet, beherbergt zwar keine Zeitungsredaktionen mehr, trotzdem steht Fleetstreet synonym für die Definitionsmacht englischer Medien. Das Fleetstreet-Theater wiederum befindet sich in der Hamburger Admiralitätsstraße auf der Fleetinsel, in direkter Nachbarschaft zu Galerien, Kunstbuchhandlungen und Luxushotels. Zwischen Tanztee, Filmvorführung und Theaterstück werden unter Leitung der Regisseurin Angela Richter dem Kulturpublikum in einem ehemaligen Off-Schuppen seit einiger Zeit leichte Häppchen serviert. Auch die großen Medienhäuser sind in Rufweite.
Umso löblicher, dass "Keine Diskussion" eine Talkrunde werden soll, in der der Gastgeber Moritz von Uslar "abseits vom Dauer-Gelalle in Zeitschriften, Fernsehen und Internet ein Gespräch" herstellen möchte. Dass er es ernst meint, zeigt die Premiere, für die der Journalist und Autor aus Berlin-Mitte einen Gast aus Berlin-Kreuzberg nach Hamburg eingeladen hat: den Filmemacher Christian Petzold. Dessen neuer Film "Yella" läuft gerade in den deutschen Kinos; die Hauptdarstellerin Nina Hoss hat bei der Berlinale für ihre Leistung den Silbernen Bären erhalten. Als Oberthema hat sich von Uslar "Schauspieler" ausgedacht und konfrontiert seinen Gast mit Fragen wie "Hast du die ARD-Verfilmung von Checkpoint Charlie gesehen?", "Woran erkennst du gute Schauspieler?", "Was gefällt dir an John Wayne?."
Petzold antwortet ausführlich und kann seine Gedanken ohne Unterbrechung zu Ende führen. Das ist nicht nur sympathisch, sondern nimmt dem zum Lachen bereiten Publikum auch die gehässige Energie. Ob er ein Schauspiel-Regisseur sei, wird Petzold gefragt. Statt einer direkten Antwort stellt er die historisch notwendigen Bezüge her: Warum aus Marquart Bohm eben nicht Warren Beatty geworden ist und was Iris Berben von einer Faye Dunaway unterscheidet. Im Gegensatz zu ihren New-Hollywood-Kollegen hätten beide nach den ersten guten Rollen eben keine weiteren entsprechenden Angebote mehr erhalten und seien von der Filmindustrie ignoriert wurden.
Dann stecken sich Petzold und von Uslar erst mal Zigaretten an, inhalieren aber nicht genüsslich, sondern leicht gehetzt: Direkt im Anschluss nach dem Gespräch muss Petzold den Zug nach Berlin nehmen. Wie beim Blitzschach befindet sich zwischen Interviewer und Regisseur eine Uhr. Zügig geht es weiter von "Körperspannung" bis "Beschimpfungswortschatz", von "Eichinger" bis "Schwitters". Befrager und Befragter sitzen selbst auf einer Bühne an einem Tisch, vor einem riesigen Foto des Models Lindsay Lohan.
Natürlich muss Petzold auch in den eigenen Jugenderinnerungen kramen. Als er sich beim Schultheaterworkshop auf Anordnung schottischer Regie-Profis für das Stück "Auf hoher See" nackt ausziehen musste. In solchen Momenten blickt von Uslar ein bisschen drein wie Theo Lingen mit Monokel. Den Kopf zur Seite gedreht, quillt sein ausrasierter Nacken hervor. Mit tiefer Boxreporterstimme stellt er die nächste Frage.
"Keine Diskussion" heißt an diesem Abend vor allem auch "keine Kontroverse", wieso auch. "Ich muss Filme so drehen, dass jede Nebenfigur es wert ist, einen eigenen Film weiterzuentwickeln", sagt Christian Petzold nüchtern. Das Publikum quittiert seine Schlussworte mit Applaus. "Ich habe noch nie einen Film von Ihnen gesehen, aber ich fands toll, was Sie gesagt haben", sagt eine Frau. Der Regisseur hastet zum Taxi.
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