Neue Gesichter beim HSV: Der kleine Wurf
Der Hamburger SV baut um: Trainer wird Armin Veh, Sportchef im Vorstand der ehemalige Profi Bastian Reinhardt. Manche sprechen von einer "Lachnummer".
Erst die kommende Saison wird zeigen, ob Pfingsten 2010 als Befreiungsschlag oder letztes Gefecht der HSV-Führung in die Annalen eingeht. Den Überraschungseffekt kann Vorstandsboss Hoffmann und Aufsichtratschef Becker aber jetzt schon keiner mehr nehmen. Ganz Hamburg hatte damit gerechnet, dass auf der für Dienstagabend angekündigten Aufsichtratssitzung mit Becker das letzte Bauklötzchen um den allmächtigen Hoffmann herum umkippt.
Da präsentieren die Gremien, aus denen sonst jedes Hüsteln an die Öffentlichkeit gerät, völlig unerwartet am Dienstagmittag auf einen Schlag einen neuen Trainer und neuen Sportvorstand. Noch dazu mit Armin Veh und Bastian Reinhardt zwei Personen, die in der Gerüchteküche nie gehandelt worden waren. "Da muss ich schon schmunzeln", freute sich Becker über den Coup. So gelungen die Inszenierung war, die vorgestellten Lösungen treffen auf viel Skepsis. Für den Trainerjob war über Pfingsten nach Bernd Schuster zuletzt HSV-Ikone Kevin Keegan als heißer Tipp gehandelt worden. Dagegen wirkt die Verpflichtung von Armin Veh, der zuletzt vorzeitig in Stuttgart und Wolfsburg entlassen wurde, eher als biedere Lösung. Für den kantigen Augsburger wird gesprochen haben, dass er den VfB Stuttgart 2007 sensationell zur deutschen Meisterschaft führte. Von solchen kleinen Wundern träumt man an der Elbe auch jedes Jahr aufs Neue. Für den vor einiger Zeit von Bernd Hoffmann postulierten "kontinuierlichen Aufbau" einer Mannschaft hat Veh dagegen bislang noch kein Anschauungsmaterial hinterlassen.
Noch überraschender ist die Nominierung des bisherigen Spielers Bastian Reinhardt als Sportvorstand. Eigentlich sollte Reinhardt, der bis vor Kurzem als Praktikant in der Pressestelle tätig war, noch ein Jahr als Stand-by-Profi zur Verfügung stehen und in der 2. Mannschaft spielen. Ursprünglich wollte Hoffmann nach der Trennung von Dietmar Beiersdorfer gar keinen neuen sportlich Verantwortlichen im Vorstand neben sich, die Funktion sollte seine loyale Stellvertreterin Katja Kraus mit übernehmen. Der für die neue Saison engagierte Teilzeitmitarbeiter Urs Siegenthaler war dagegen lediglich für die Nachwuchsarbeit und das Scouting vorgesehen.
Der sportliche Niedergang des HSV in den letzen Monaten und die Trennung von Trainer Bruno Labbadia ließ außerhalb des Vorstands die Erkenntnis reifen, dass ein starker Sportchef mit Sitz im Vorstand unverzichtbar ist. Erst scheiterte Hoffmann mit dem Versuch, Siegenthaler nun doch in den Vorstand zu hieven, am Veto des Aufsichtsrats. Dann stümperte Becker in den Verhandlungen mit Nico Hoogma, dem Wunschkandidaten der Kontrolleure, so herum, dass der Holländer absagte. Nach diesem Possenspiel gilt Reinhardt nicht einmal mehr als kleine Lösung, sondern als absolute Notlösung. Einige Zeitungen sprechen sogar von einer "Lachnummer".
"Ich verstehe gar nicht, warum man einem jungen Mann, der willig ist und eine HSV-Affinität hat, nicht jedenfalls eine Chance gibt", sagte Becker der taz. Im gleichen Atemzug bestätigte der Kontrollchef allerdings Pressemeldungen, wonach er selbst bis vor Kurzem selbst an einer ganz großen Lösung gestrickt hat. "Ja, ich habe Kontakt zu Felix Magath gehabt", sagte Becker. Nach Informationen des Hamburger Abendblatts wollte Becker Magath für die Posten des Trainers und Sportchefs in Personalunion gewinnen.
Obwohl Magath ablehnte, birgt Beckers Vorstoß Brisanz für die Zukunft. Denn es ist kaum vorstellbar, dass er mit Rückendeckung von Hoffmann um die Dienste des Schalker Trainers geworben hat, der sich von niemandem reinreden lässt. Der von allen Seiten gestern beschworene Teamgedanke, mit dem das fragile HSV-System zusammengehalten werden soll, hat auf der Führungsebene schon Schaden genommen.
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