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Neue EU-Vorschläge zum AsylrechtWenn Europa die Flucht ergreift

EU-Justizkommissar Barrot will ein besseres EU-Asylrecht. Aber zugleich wehren EU-Boote Flüchtlinge schon auf hoher See ab und bestehende Standards werden ignoriert.

Rund 200 Boots-Flüchtlinge sitzen am Strand von Kato Zacro auf der griechischen Insel Kreta. Bild: dpa

Jaqcues Barrot ist ein ehrenwerter und moralischer Mann. Wann immer der für Flüchtlingsfragen und Justiz zuständige französische EU-Kommissar auf Reisen geht, kommt er ehrlich schockiert zurück. Zum Beispiel aus einem Flüchtlingslager in Lyon, wo er mit gequälten und misshandelten Frauen gesprochen hatte. Diese Frauen seien oft viel zu traumatisiert, um den Beamten im Lager von ihren Erlebnissen zu berichten. Im Asylverfahren müsse sichergestellt werden, dass ihnen dadurch keine Nachteile für ihren Antrag erwüchsen, sagte Barrot gestern auf einer Pressekonferenz in Brüssel.

Mit Nachbesserungen beim einheitlichen Asylverfahren und bei der Definition des Kreises schutzberechtigter Personen will die Kommission die EU-einheitliche Asylgesetzgebung abschließen. So soll Verfolgung wegen ethnischer Zugehörigkeit oder Geschlecht stärker berücksichtigt werden. Der neue Vorschlag zum Asylverfahren beinhaltet, dass jedem Bewerber "sofort" alle wichtigen Informationen und ein Rechtsberater zur Seite gestellt werden müssen.

Wie soll das auf hoher See geschehen, bevor ein Flüchtlingsboot von den Patrouillenbooten der EU-Grenzschutzagentur Frontex zur Umkehr gezwungen wird? Darauf wusste Barrot keine befriedigende Antwort zu geben. Auf die Frage, ob nicht die tägliche Praxis in einzelnen Mitgliedstaaten jedes Bemühen um Mindeststandards torpediere, antwortete Barrot fast trotzig: "Der Rat hat uns ja selbst beauftragt, hier nachzubessern. Das Recht auf Asyl ist ein grundlegender Bestandteil des europäischen Selbstverständnisses. Aber das System kann nur funktionieren, wenn es echte europäische Solidarität gibt."

Die aber gibt es nicht. Die Mittelmeeranrainer Griechenland, Malta und Italien fühlen sich chronisch überfordert von den Hilfesuchenden, die an ihren Küsten landen. Die Länder des Nordens aber weigern sich, auf freiwilliger Basis Asylbewerber von dort zu übernehmen.

Griechenland sei derzeit so überlastet, dass es die Verfahren nicht korrekt durchführen könne, erklärte Barrot. Deshalb würden einige EU-Länder, darunter Deutschland, von dort anreisende Flüchtlinge nicht mehr zurückschicken. Eigentlich muss ein Asylantrag in dem Land bearbeitet werden, wo ein Flüchtling zum ersten Mal EU-Boden betritt. Davon kann zwar bei extremer Belastung eines Landes abgewichen werden. Griechenland erhalte aber bereits großzügige Hilfe aus EU-Mitteln. Barrot kündigte an, sich Anfang November selbst ein Bild über die Lage dort zu machen. "Griechenland muss die Gesetze befolgen, was es nicht immer tut." Falls nötig, werde er ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.

Um den Druck zu vermindern, müsse auch mit den Transitländern verhandelt werden. "In wenigen Tagen", so kündigte Barrot an, "reise ich zu Gesprächen nach Libyen und Syrien." Auch mit der Türkei seien Gespräche geplant. Mittelfristig müsse in jedem Transitland eine Anlaufstelle der UN für Flüchtlinge eingerichtet werden.

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7 Kommentare

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  • HB
    Hausfrau B.

    Natürlich ist es politisch, logistisch und auch finanzielle unmöglich allen Asyl-willigen in Europa auch Asyl zu bieten. Aber wir verwöhnten Europäer, mit unseren geheizten Wohnungen, Sozialleistungen und Supermärkten sollten nicht aus den Augen verlieren, was diese Menschen dazu treibt, ihr Leben bei lebensgefährlichen Bootstouren aufs Spiel zu setzen, nur um als Schuhputzer in Spanien zu leben. Mein Mann kommt aus einem marocnaischen Dorf und konnte sich an manchen Tagen nur von Tee und Gerstenkörnen ernähren, da er keine Arbeit gefunden hatte. Später hat er als Näher 20 Euro im Monat verdient. Und Marocco ist eines der stabilsten und sichersten Länder in Afrika. Sicher, nicht jeder lebt von der Hand im Mund, aber ich kann Flüchtlinge gut verstehen, wenn sie Europa für das Pardies auf Erden halten. Wenn man also Flüchtlinge in ihren Ländern halten möchte, muss sich auf entwicklungstechnischer Ebene etwas tun!

  • A
    aso

    @ vic:

    „...Missachtung der Grundrechte...“:

     

    Die Sarrazin – Diskussion hat nochmal fokussiert, daß es nicht generell um Probleme mit Migranten geht.

     

    Sondern, daß es (europaweit) eine Problemgruppe bezüglich Integration innerhalb der Migranten gibt: die Muslime, in Deutschland vorwiegend Türken und Araber.

     

    Diese Erkenntnisse haben sich sogar mittlerweile bis zum GEZ-TV rumgesprochen:

    http://www.youtube.com/watch?v=y_ByDj8Txrw&feature=player_embedded

     

    Die Grundrechte bezüglich Asyl waren niemals als Einreise-Ticket für einen Massenansturm vorgesehen. Hinzu kommt, daß es sich bei den Hilfesuchenden vorwiegend um die oben genannte Gruppe handelt (Muslime), mit denen die bereits vorhandenen Integrationsprobleme bestehen.

     

    Der Massenansturm wird bei vorhandenem Sozialsystem mit Rundumversorgung zum Nulltarif auch nicht abreißen.

  • A
    Alexandra

    Keiner strebt an, jedem Asyl zu geben. Und wenn man sich mal die Mühe macht die Zahlen nachzuschauen, anstatt unwissend Panik zu verbreiten, wird man sehen dass es sich ganz anders verhält.Die Zahlen der Asylanträge in Deutschland ist verschwindend gering. In Greichenland werden nur 0,1% der Asylanträge bewilligt. Und das liegt nicht nur daran, dass viele von ihnen nicht Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention sind, sondern dass keine Kapazitäten für eine angemessene Überprüfung der Fälle vorhanden ist. Die Verhandlungsdauer ist enorm lang, es kommen immer weitere Flüchtlinge dazu usw. Ich weiß also nicht genau, was hier mit "durchgreifen" gemeint ist. Für mich wäre durchgreifen zum Beispiel, so wie es teilweise schon geschieht, die Flüchtlinge in andere Länder weiterreisen zu lassen, wo sie dann einen Asylantrag stellen können. Wir sollten uns von dem Gedanken verabscheiden, dass Migrationsströme kontrollierbar sind. Deswegen gibt es ja auch Probleme in Griechenland, weil die meisten gar nicht dort bleiben wollen und an den Häfen auf eine gute Gelegenheit warten, auf ein Schiff Richtung Italien, Deutschland oder sonstwohin aufzuspringen. Da ist jede Integrationsbemühung zwecklos. Alternativ muss man den Ländern an der EU-Außengrenzen die Unterstützung bieten, potentielle Flüchtlinge angemessen zu empfangen und sie nicht wie Verbrecher zu behandeln, ihnen die Möglichkeit geben einen Antrag zu stellen und die Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen. Oder eben Länder wie die Türkei in die Verantwortung ziehen, die den Flüchtlingen fröhlich den Weg zur EU weisen.

    Ach ja, und nicht alle Ausschreitungen in Europa gehen von Ausländern aus. In Griechenland waren es ausschließlich griechische Jugendliche, und deren Anliegen war nicht, gegen eine Überfremdung zu protestieren, sondern gegen die Bildungsmisere und die faschistische Haltung der Polizei.

  • O
    obstsalat

    Noch besseres Asylrecht?

     

    Es wird ja immer gerne behauptet - die taz stets als Wortführer voran - Europa würde sich gegen Einwanderer abschotten ("Festung Europa"). Das Gegenteil ist richtig. Die Tore stehen sperrangelweit offen.

    Man braucht nur mal durch unsere Städte gehen. Und natürlich die Augen aufmachen nicht vergessen. In den Großstädten haben über 50% der unter 5-jährigen Kinder Migrationshintergrund. In Nürnberg, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf, München liegt dieser Anteil nahe 70%. Wo bitte gibt es hier eine "Festung Europa"?

  • O
    olli

    man sollte bei der diskussion imer im auge behalten, dass sich die eu nicht erlauben kann, noch mehr etnische konflikte zu importieren- sonst haben wir hier bald genau diese enthnischen konflikte, vor denen die flüchtlinge geflohen sind. erste anzeichen durch zu viel immigration und daraus entstehenden konflikten gibt es in der eu bereits (türken vs. kurden, ausschreitungen und griechenland und frankreich etc.)

  • DZ
    Daniel Zollinger

    Wo kämen wir denn da hin, wenn man jedem Asyl geben würde? Ich bin viel in Griechenland und ich kenn das Problem wo die griechischen Behörden haben und ich hoffe das da in absehbarer Zeit mal was geschieht und etwas Härter durchgegriffen wird. Ich glaub mit der neuen Regierung geht jetzt was!

  • V
    vic

    Europa begeht Verbrechen gegen die Menschlichkeit, jeden Tag.

    Nebenbei natürlich auch der Missachtung der Grundrechte, auf die sie geschworen haben.

    Wenn es mit rechten Dingen zuginge, stünden die beteiligten Staatschefs alle vor Gericht.

    Aber wie immer in diesen Kreisen, so laufen auch hier die Gangster frei rum.