■ Neue Dynamik nach dem Massaker von Hebron: Gute Chancen für die PLO
Der Massenmord von Hebron hat eine neue Realität erzeugt. Schien es bisher, als sei vor allem die PLO an einer Friedenslösung mit Israel interessiert, so ist es jetzt umgekehrt Israel, das mehr denn je auf ein Abkommen angewiesen ist. Bis Hebron saß die israelische Regierung am längeren Hebel: Gegen einen schwachen, von interner Kritik angegriffenen Arafat, dessen Organisation die finanzielle Pleite vor Augen hatte, ließ sich gut hoch pokern. Das Gaza-Jericho- Rahmenabkommen vom Herbst war Ergebnis dieses Ungleichgewichts. Mit derart dürftigen Zugeständnissen eine friedliche Lösung erzielen zu können, das hätte sich vor Jahren kaum jemand erträumt. Israel konnte es sich auch leisten, bei der anschließenden Diskussion um eine Konkretisierung der Vereinbarung eine harte Haltung zu zeigen. Ernsthaft, das war klar, konnte Arafat vom einmal eingeschlagenen Kurs nicht mehr abgehen.
Jetzt ist alles anders. Israel steht infolge der Tat eines rechtsradikalen Massenmörders am Pranger und muß sich rechtfertigen. Warum hat man die radikalen Siedler nicht schon lange vorher entwaffnet? Weshalb durften sie mitten im arabischen Hebron ein eigenes jüdisches Viertel etablieren? Gab es keine rechtlichen Möglichkeiten, ihre Organisation zu verbieten? Der Regierung fällt es begreiflicherweise schwer, auf diese Fragen befriedigende Antworten zu geben, waren doch die Siedler über Jahrzehnte die Hätschelkinder von Golda Meir bis Jitzhak Rabin. Die PLO kann bei ihrer Haltung, nun unnachgiebig wirksame Konsequenzen aus dem Mord von Hebron zu verlangen, auf die ungeteilte Zustimmung der Palästinenser in den besetzten Gebieten bauen. Ja, sie hätte wohl auch die Mehrheit hinter sich, würde sie jetzt den Friedensprozeß platzen lassen. Nicht die PLO, Israel stünde in diesem Fall in der internationalen Öffentlichkeit als der Schuldige da.
Deshalb nun die Vorschläge der Regierung Rabin, die weit über die bisherigen Angebote hinausgehen: Entwaffnung eines Teils der Siedler, Aufstockung der palästinensischen Polizei in Gaza und Jericho, Zustimmung zu zivilen ausländischen Beobachtern bei der Umsetzung des Gaza-Jericho-Abkommens. Das ist mehr, als die PLO vor dem Massenmord erwarten durfte, so zynisch das klingen mag. Doch es ist nicht genug angesichts der veränderten politischen Konstellation. Die Palästinenser verlangen nicht nur zu Recht einen wirksameren Schutz von Leib und Leben, ihre Forderungen haben jetzt auch mehr Gewicht. Und die PLO steht unter dem Druck der Palästinenser in den besetzten Gebieten. Die israelische Regierung kann dagegen der Zustimmung der Bevölkerung sicher sein, wenn sie die Siedler in die Schranken weist.
Zwei Konsequenzen sind möglich nach dem Mord von Hebron. Der Täter könnte sein Ziel erreichen, daß der Friedensprozeß platzt. Viel fehlt dazu nicht mehr. Oder Hebron könnte die Initialzündung dafür werden, daß die bis dato festgefahrenen Verhandlungen eine neue Dynamik gewinnen: durch eine nachgiebigere Haltung Israels, durch harte Maßnahmen gegen die Siedler, aber auch durch eine PLO, die ihre gestiegenen Chancen jetzt nicht verspielt. Klaus Hillenbrand
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