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■ Neue Bonner Mischung: FDP ohne Basis in den Ländern will sich im Kabinett profilieren, CSU meldet Ansprüche anBloß weiterwursteln geht jetzt nicht mehr

Diese Mehrheit reicht. Die schon am Sonntag abend ausgegebene Losung schob Helmut Kohl auch am Tag nach der Wahl wie einen Schild vor sich her: „Sehr gut regierungsfähig“ sei seine Koalition. Angesichts von nur zehn Stimmen Vorsprung war gestern allerdings in Bonn klar: Das alte Spiel wird spannend werden.

Die FDP steht unter starkem Profilierungszwang. Obwohl die Partei mehr als ein Drittel ihrer Stimmen von vor vier Jahren eingebüßt hat, muß sie sich im Kabinett renitent zeigen, um als eigenständige politische Kraft ernst genommen zu werden. Renitenz aber ist gefährlich für eine Koalition mit knapper Mehrheit. Zumal eine starke CSU, die auf liberale Forderungen wie auf ein rotes Tuch reagiert, bereits neue Ansprüche anmeldet.

Schon am Wahlabend ließ CSU-Chef Theo Waigel keinen Zweifel daran, daß sich aus seiner Sicht die Gewichte in der Koalition verschoben haben. Die CSU gehe „mit gestärktem Selbstbewußtsein“ nach Bonn. Auch Kohl lobte gestern ausdrücklich das gute Abschneiden des bayerischen Partners.

Bei den Liberalen sorgte gestern nicht nur Jürgen Möllemann mit öffentlicher Kritik für Zündstoff. Der Vorsitzende des FDP- Landesverbandes Nordrhein- Westfalen (NRW) und notorische Kinkel-Kritiker verlangte, die Spitzengremien seiner Partei müßten diskutieren, ob „möglicherweise Änderungen in der persönlichen Repräsentanz“ erforderlich seien. Diese Debatte könne nicht nur auf eine Person begrenzt werden. Parteichef Klaus Kinkel dagegen schloß unwirsch personelle Konsequenzen aus: „Das ist Unsinn.“

Angesichts des Wegbrechens der Basis in den Ländern ist den FDP-Protagonisten klar, daß nur das Funktionsargument sie bei der Bundestagswahl noch gerettet hat. Liberale Politikerinnen und Politiker aus den Ländern forderten denn gestern dringend eine „programmatische und personelle Erneuerung“ (so etwa der Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein, Jürgen Koppelin).

Drei Felder bieten sich an zur Profilierung: die Koalitionsverhandlungen, eine programmatische Erneuerung sowie Neubesetzungen wichtiger Parteiämter. Bei den Koalitionsverhandlungen müssen die Liberalen auftrumpfen, denn sie halten nur so lange einen Hebel in der Hand, als der Kanzler noch nicht gewählt ist.

Um Wirtschaftsfragen wird am härtesten gerungen werden. In die Gespräche gehen die Liberalen mit dem Ziel, einen Durchbruch bei der Vereinfachung des Steuerrechts sowie des Sozialrechts (Stichwort: Bürgergeld) zu schaffen. Die Union, so erwarten sie, wird die Forderung nach dem „Verbrechensbekämpfungsgesetz, zweiter Teil“ vorlegen und die Familienpolitik stark machen wollen.

Als ein zentraler Punkt der Verhandlungen, an dem sich Profil beweisen ließe, gilt FDP-Politikern aber auch die Reform des Staatsbürgerrechts mit der Verabschiedung eines Einwanderungsgesetzes. Die Reform war von der Union allerdings schon in den Koalitionsvereinbarungen 1990 zugesagt und dann immer wieder blockiert worden. Liberale Führungskräfte wollen das Thema nun nicht öffentlich „hochziehen“, um der Gefahr zu begegnen, später als Umfaller gebrandmarkt zu werden. – Ihre Posten in den klassischen Ministerien (Außenpolitik, Justiz sowie eines aus dem Bereich Wirtschafts- und Finanzpolitik) wollen die Liberalen wiederbesetzen. Die Besetzung „nichtklassischer“ Ministerien gilt in der FDP als eine „Frage der Zweckmäßigkeit“. Die geschrumpfte Partei muß damit rechnen, Ministerposten abzugeben. Als sicher gilt, daß neben Kinkel auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ins Kabinett zurückkehrt. Nach den schweren Angriffen des rechten Unionsflügels auf die Justizministerin wird es in der FDP als Frage der Selbstachtung angesehen, die Politikerin in der Regierung zu halten.

Das Selbstbewußtsein seiner Partei wollte FDP-Generalsekretär Werner Hoyer schon lange durch eine Programmdebatte stärken. Sie könnte nun auf dem Sonderparteitag geführt werden, den der Bundesvorstand gestern auf Kinkels Vorschlag beschloß und noch in diesem Jahr in den neuen Ländern abhalten will.

Daß es sich die Liberalen leisten können, ihren Spitzenmann und Noch-Vizekanzler Kinkel zu demontieren, ist unwahrscheinlich. Als mögliches Opfer des Unmuts gilt Generalsekretär Hoyer. Handeln müssen die Liberalen schnell. Die nächsten Landtagswahlen drohen im Februar (Hessen). Auch in Nordrhein-Westfalen und Berlin werden 1995 neue Parlamente gewählt. Hans Monath, Bonn

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