Neue Berliner Mauer entsteht: Oben bleiben
Auf ihren Dächern entfliehen viele Hauptstädter bislang der Enge. Doch nun wird zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer eine erneute Teilung der Stadt vollzogen.
Um die Enge der Großstadt für einen Moment mit dem Blick in den weiten Himmel zu tauschen, fliehen Berliner auf ihre Dächer. Das könnte bald vorbei sein, denn immer mehr Dächer verunzieren mit Stacheldraht bewehrte Sperranlagen.
Wer errichtet - zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer - neue Mauern in Berlin? Und warum? Bei Google produzieren die Suchbegriffe "Dach", "Mauer" und "Stacheldraht" jede Menge Hits zur Teilung Berlins (1961 bis 1989). "Sperranlagen" führt zur Webseite der Bauaufsicht, wo es um "Umwehrungen" geht - aber die brauchen nur Balkone. "Das sind Begrenzungen, damit die Leute nicht von A nach B kommen", erklärt ein Klempnermeister, der auch "Dach- und Zaunbau" anbietet. Selbst hat er nur "wenige" davon gebaut, und die "nicht in letzter Zeit". Wer die in Auftrag gegeben hat? "Na, der Auftraggeber!"
Der Hausmeister eines Gebäudes, das neben einem mit Sperranlage steht, meint: "Is wohl gegen Vandalismus, wa?" Vor einem Jahr hätte da oben jemand Feuer gemacht. Einbrüche gäbe es auch. Die Hausverwaltung sagt, der Stacheldraht solle "Durchwegungen" unterbrechen. Und rät, den zuständigen Stadtrat zu fragen, in dem Fall Michail Nelken (Die Linke).
Er sagt: "Durch Privatisierungen und immer mehr Dachgeschosswohnungen mit Balkon wuchs das Bestreben der Eigentümer, die Dächer unzugänglich zu machen." Verbieten kann der Bezirk das nur, wenn "Verunstaltung" vorliegt - also selten, da die Dächer von der Straße aus nicht einsehbar sind.
"Einzäunungen sind ein kultureller Verlust", meint Nelken, "aber kein Gegenstand ordnungsbehördlichen Interesses - solange der Schornsteinfeger seine Arbeit tun kann. Und auch der hat keinen Anspruch, von einem Dach auf das andere zu wechseln; unter Umständen muss er runter und wieder rauf."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr