piwik no script img

Neue Amtssprache in RuandaDas bessere Leben spricht Englisch

Unter Präsident Kagame wurde Englisch als neue Amtssprache eingeführt. Das eröffnet Jugendlichen gute Chancen, könnte aber den Tutsi-Hutu-Konflikt wieder aufflammen lassen.

Zuversichtlich: Anhänger des amtierenden Präsidenten Paul Kagame. Bild: dpa

KIGALI taz | Isaac Gahwerra kritzelt Tiernamen auf Englisch an die Tafel. Er steht in einem Klassenzimmer einer Grundschule in Ruandas nordöstlicher Provinzhauptstadt Ruhengeri. Der 28-jährige Lehrer aus Uganda unterrichtet in den Ferien seine ruandischen Kollegen in Englisch. "Was ist eine Schildkröte?", fragt er in die Runde. Eine junge ruandische Lehrerin antwortet stotternd: "Das ist ein Tier mit zwei Beinen." Ihre Mitschüler, ebenfalls Lehrer, kichern.

Szenen wie diese wiederholen sich derzeit überall in Ruanda. Rund 50.000 Lehrer müssen die Schulbank drücken. Der Grund: die Umstellung der Amtssprache. Im Frühjahr vorigen Jahres wurde sie in der ehemaligen belgischen Kolonie von Französisch auf Englisch umgestellt. Seit Anfang des Jahres wird auch an Schulen und Universitäten nur noch auf Englisch unterrichtet.

Die ruandische Regierung erhofft sich von der Sprachumstellung wirtschaftliche Vorteile. 2009 trat Ruanda dem Commonwealth bei. Zudem gehört das Land der Ostafrikanischen Union (EAC) an, deren Mitgliedstaaten bis auf Burundi Englisch als Amtssprache pflegen. Seit dem 1. Juli gilt in der EAC eine Wirtschaftsunion, die Arbeitsuchenden ganz Ostafrika öffnet - ein enormer Vorteil für die Jugend, wie Präsident Paul Kagame, der die an diesem Montag stattfindende Wahl vermutlich gewinnen wird, stets betont.

Wahl in Ruanda

Die Wähler: Am Montag sind 5,2 Millionen Wahlberechtigte dazu aufgerufen, einen neuen Präsidenten für Ruanda zu wählen. 62 Prozent der Ruander sind unter 35 Jahre; um ihr Interesse bemühen sich alle Bewerber in erster Linie.

***

Die Kandidaten: Außer Amtsinhaber Paul Kagame von der Regierungspartei Ruandische Patriotische Front (RPF) stehen drei weitere Bewerber zur Wahl. Die Koalitionspartner der RPF - die Liberale Partei, die Sozialdemokraten und die Fortschrittspartei - haben offiziell eigene Kandidaten nominiert, rufen aber dazu auf, Kagame zu wählen.

***

Die Opposition: Wirklich oppositionelle Bewerber gibt es nicht. Die Grünen wurden nicht zugelassen; ihr Vizevorsitzender wurde Mitte Juli ermordet. Der Chef der Sozialen Partei, Bernard Ntaganda, sitzt im Gefängnis.

Wenn Kagame von den Chancen spricht, die der englischsprachige Arbeitsmarkt den ruandischen Jugendlichen biete, tut er dies auch aus eigener Erfahrung: Im Exil in Uganda aufgewachsen, kehrte er mit seinen Mitstreitern von der Ruandischen Patriotischen Front Mitte der neunziger Jahre nach Ruanda zurück. Als die RPF nach dem Ende des Völkermordes 1994 die Macht übernahm, fanden sich Kagame und seine Anhänger als englischsprachige Elite isoliert in einem französischsprachigen Land.

Was rappt Eminem da?

Während Lehrer, Schüler und Studenten über die zusätzliche Belastung stöhnen und viele die Sprachumstellung für problematisch halten, ist sie für Celestin Ntawirema ein Glücksfall. Der 25-jährige Abiturient versucht nach Unterrichtsschluss seine Mitschüler durch das Sprachchaos zu lotsen. In seiner Schule in Kicukiro, einem Vorort der Hauptstadt Kigali, hat er chemische Formeln auf die Schiefertafel geschrieben. Er liest die Definition aus dem französischen Schulbuch vor und übersetzt diese ins Englische. Manche seiner Mitschüler schreiben eifrig mit, andere hocken ratlos auf ihren Bänken, das Kinn in die Hand gestützt, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Viele von ihnen wissen: Das Examen in Chemie werden sie schon allein wegen ihrer mangelhaften Englischkenntnisse nicht bestehen.

"Unsere Lehrer sprechen nur schlecht Englisch und können uns in dieser neuen Sprache die chemischen Formeln weniger gut erklären", erklärt Celestin. Dennoch findet er die Umstellung großartig. "Mit Englisch habe ich die Möglichkeit, nicht nur in Kenia oder Tansania, sondern sogar in London oder in New York einen Job zu finden", sagt er träumerisch. Sein Vater, der während des Völkermordes 1994 ums Leben kam, war früher Englischlehrer gewesen. Anstatt die Schule zu besuchen, schuftete Celestin als Jugendlicher auf Baustellen und fand erst recht spät die Gelegenheit, seinen Schulabschluss nachzuholen.

Bis vor Kurzem war er Vorsitzender des lokalen Never-Again-Clubs. Die Never-Again-Bewegung, die an rund 3.000 Schulen des Landes tätig ist, setzt sich für die Versöhnung zwischen Hutu- und Tutsi-Jugendlichen ein. Ihr Ziel sei es, so erzählt Celestin, der Generation, deren Angehörige während des Völkermords noch Kleinkinder waren, klarzumachen, dass es nun ihre Aufgabe, die Aufgabe der Jugend, ist, die Ruander wiederzuvereinigen.

Die Schüler schweiße zusammen, dass sie oft dieselben Probleme hätten. "Ich bin als Tutsi ohne Vater aufgewachsen, weil mein Papa ermordet wurde", sagt er und macht eine kleine Pause. Er sieht einen Moment lang traurig aus. Doch dann fährt er fort und erzählt davon, dass viele seiner Hutu-Freunde ebenfalls ohne Väter aufgewachsen seien, weil diese im Gefängnis säßen. "Ob nun Hutu oder Tutsi - wir haben alle kein Geld für Pausenbrote und Schulbücher." Und Jobs bekämen nur diejenigen, die Englisch könnten, während die Frankofonen leer ausgingen.

Durch diesen Umstand wiederum könnte der ethnische Konflikt zwischen Hutu und Tutsi, der für die jungen Leute eine immer geringer werdende Rolle spielt, erneut entstehen. Denn Celestins Altersgenossen, die gut Englisch sprechen, sind in der Regel Kinder jener Tutsi, die in Jahren nach Ruandas Unabhängigkeit 1962, als das Land ausschließlich von Hutu regiert wurde, in die östlichen Nachbarländer Uganda, Kenia oder Tansania flohen und ab 1994 zurückkehrten - so wie Präsident Kagame und viele andere Amtsträger der Regierungspartei RPF.

Diese Kinder sind dort auf englischsprachige Schulen gegangen und sprechen und schreiben fließend Englisch. Diejenigen Jugendlichen, die mit ihren Familien nach der Machtübernahme der Tutsi-Kämpfer in die Nachbarländer Burundi oder Kongo flohen und dort aufwuchsen, sind meist Hutu. Sie sprechen und schreiben fließend Französisch und sind nun die Verlierer der Sprachumstellung.

Auf Celestins Stirn zeigen sich Sorgenfalten: "Unser Problem ist nun nicht mehr in erster Linie ein Konflikt zwischen den ethnischen Gruppen, sondern eine Frage der Sprachkenntnisse", sagt er. Allerdings könne dieses Problem leicht wieder die Jugend spalten. "Ich hoffe nur, dass das Sprachendilemma nicht wieder zur Debatte zwischen Hutu und Tutsi wird", sagt er. Dann schnappt er sich seinen Rucksack und schlurft die Hauptstraße von Kicukiro entlang. Er deutet auf die Pflastersteine, die den Straßenbelag bilden: "Wer heute in Ruanda kein Englisch kann, muss froh sein, wenn er Kopfsteinpflaster verlegen darf."

Celestin biegt er in eine Hofeinfahrt ein. Im Schatten eines gewaltigen Baumes sitzen vier seiner Freunden auf Plastikstühlen. In ihrer Mitte steht ein Lautsprecher, der über ein Kabel mit der Stereoanlage im Haus verbunden ist. Aus der Box klingt scheppernd ein Song des amerikanischen Rappers Eminem. Als Musiker, der gerade seinen ersten Song in einem Studio in Kigali aufnimmt, rappt Celestin sofort die englischen Texte mit. Sein Freund Philip Makuzu, der in Burundi aufgewachsen ist, blättert eifrig in einem Wörterbuch. "Was sagt er denn da in der letzten Strophe?", fragt er auf Französisch. Celestin lacht: "Das ist Slang, das steht da nicht drin."

Boomland Ruanda

Philip klappt entmutigt das Wörterbuch zu. Der 23-Jährige studiert im zweiten Jahr Informationstechnologie an der Universität in Kigali, ein vielversprechendes Fach in Ruanda. Da die Länder Ostafrikas derzeit an das Breitbandkabel angeschlossen werden, sind IT-Spezialisten in der ganzen Region gefragt.

Doch die Sprachumstellung macht Philip schwer zu schaffen: "Wenn ich einen Text auf Englisch schreiben muss, dann schreibe ich ihn auf Französisch und ziehe ihn durch eine Übersetzungsmaschine im Internet." Doch dieser Trick lässt sich nicht immer anwenden. Auf zwei Jobs hat sich Philip beworben. Beide Male fiel er durch. Der Grund: Die Bewerbungsgespräche finden auf Englisch statt. "Mit einem Ugander kann ich da nicht mithalten", regt sich Philip auf und flucht auf die Ugander, die nun nach Kigali strömten, "weil sie nun hier diejenigen Jobs abgreifen, die ich nicht bekomme, weil mein Englisch nicht gut genug ist. Das ist unfair!"

Einer dieser Ugander, die derzeit in Ruanda ihr Glück versuchen, ist Katende Luyombya. Mit einem Stapel Hochglanzmagazine zieht er durch die Hotels, fragt die Manager, ob er seine Hefte in der Lobby zur Ansicht auslegen darf. Der 35-jährige Grafikdesigner kam vor fünf Jahren nach Kigali. Zuvor hatte er bereits in Tansania, Kenia und in seiner Heimat Werbeagenturen gegründet. "Doch nirgendwo ist das Geschäftsklima so gut wie in Ruanda", schwärmt Luyombya. Am ersten Tag habe er eine kostenlose Arbeitserlaubnis erhalten, tags darauf konnte er die Firma registrieren lassen. Er lacht und verdreht die Augen, wenn er diese Geschwindigkeit mit seinen Erfahrungen in Uganda vergleicht: "Das dauert dort Monate."

Luyombya blättert durch die Magazine, deutet auf Werbeanzeigen, die er entworfen hat. Seit der Sprachumstellung hätten Firmen Bedarf an knackigen Werbeslogans auf Englisch. Während der Wahlkampagne hatte Luyombya viel zu tun. Ruandische Firmen, deren Bosse Präsident Paul Kagames Regierungspartei RPF nahestehen, wollten Werbung mit Bezug auf die Wahlen designen.

Dass Kagame ohne Zweifel mit einer riesigen Mehrheit wiedergewählt wird, findet Luyombya "großartig", wie er sagt: In keinem anderen Land der Region garantiere die Regierung so viel Stabilität wie in Ruanda. "In Uganda und Kenia weiß man nie, was morgen passiert", seufzt er. Doch für ihn als Geschäftsmann sei die Zukunft in Ruanda "besser als irgendwo sonst".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
  • F
    Freebird

    Ich muss Herrn Schmidt und Herr Schlindwein unterstützen. Es gibt kaum noch Jugendliche, die dem Englischen nicht mächtig sind und im Artikel wird ein Problem gesucht, welches es nicht gibt. Der offizielle Grund der Sprachenumstellung ist natürlich die Anpassung an die East African Community, aber hinter vorgehaltener Hand wird auch der Konflikt zwischen Frankreich und Ruanda genannt. Ich möchte da an Rose Kabuye erinnern. Die Umstellung auf Englisch folgte dieser diplomatischen Krise.

  • BS
    Benjamin Schlindwein

    Also dass die Sprachumstellung eine signifikante Wiederbelebung des Hutu-Tutsi-Konflikts zur Folge hat, bezweifle ich persönlich.

    Zu groß sind die langfristigen Vorteile für die Bürger und das Land. Die jetzige Situationen, dass ausländische Englischsprachige bevorzugt werden, wird sich bereits in 2-3 Jahren geändert haben, wenn sich die Sprache auch in den jüngeren ruandischen Jahrgängen durchgesetzt hat.

    Ganz nach Kagames Motto: Der Jugend gehört die Zukunft.

  • HS
    Herr Schmidt

    Die Umstellung der offiziellen Landessprache in Ruanda von Französisch auf Englisch hat nicht nur einen wirtschaftlichen Grund. Der wichtigste Grund ist m.E. der Umstand, dass die Hutu-Massenmörder der 90er Jahre durch die französische Regierung massiv unterstützt und vor allem nach dem Verbrechen deren Schutz genossen. Die Wahl der englischen Sprache ist damit auch eine Abstrafung Frankreichs (welches bis heute das "frankophile Afrika" manipuliert) und eine weitere Emanzipation von Frankreich/Belgien