Neue Alben von Ke$ha und Uffie: Nahkampf im Brat Rap
Zwischen Bling-Bling und grenzenlosem Exzess: Die Musikindustrie vergnügt sich mit Ke$ha am Brat Rap. Deren Tracks plagiieren die Subkultur-Ikone Uffie.
Zwei zierliche Hände krallen sich an der Badewanne fest, die Fingernägel ziert Leoparden-Print. Die blonde, widerspenstige Mähne von Ke$ha erweckt den Eindruck, sie ist geschminkt und in voller Montur im Bad eingeschlafen, weil die letzte Nacht zu viel abverlangt hat. Allerlei Bling-Bling von Kopf bis Fuß ziert den Körper an den Stellen, wo nicht nackte Haut Überhand gewinnt. Die Flasche Whiskey als Mundspülung reicht aus, um in den Tag zu starten und alle Register zu ziehen.
Jeder Tag ist Party. Zumindest in dem Leben, das uns der aktuelle Clip von Ke$ha zur Single "Tik Tok" vermitteln will. Mädchen kleiden sich bewusst aufreizend und provozierend, um mit Männern nach Strich und Faden zu spielen. Den Kleiderschrank stundenlang auf der Suche nach dem passenden Outfit durchwühlen, Musik dazu auf voller Lautstärke hören. Nicht nur die Eltern provoziert es, wenn ihre Tochter sich so darstellen will, und gerade die Konflikte des bedingungslosen Partylebens speisen den Reiz an Ke$has Image.
So neu ist dieses Phänomen, das innerhalb der letzten Wochen die Spitze sämtlicher Charts der Welt erklimmen konnte, noch lange nicht, auch wenn es den Anschein vermitteln mag: Das Popsternchen versucht erstmals in den USA eine Philosophie zu verkaufen, die in Subkulturen schon seit mehreren Jahren unter dem Genre "Brat Rap" (engl. "Gören Rap") erfolgreich ist.
Dieser Text ist der Sonntaz entnommen, er findet sich auch in der gedruckten taz vom 13./14. Februar 2010.
Für das Album "Animal" verpflichtet Sony Music das Songwriter Duo Max Martin und Lukasz Gottwald, ihres Zeichen weltweit erfolgreiches Hitlieferantenteam für Acts wie Britney Spears, Avril Lavigne oder P!nk.
Ke$has Texte behandeln im Gegensatz zu feministischen Rapperinnen wie Peaches eher keine Themen wie Emanzipation oder Sex.
Das bereits etablierte Bild vieler "Chicks", die außer Mode bestenfalls Party und Männer als Themen aufgreifen, bleibt bestehen. Doch in vielen Songs eröffnen sich auch kurze Lichtblicke, die handfester ausfallen. In dem Song "Blah Blah Blah" fordert Ke$ha, dass sich Frauen nur für das sexuell hingeben sollen, was sie selbst auch möchten. Bei "Blind" verkündet Ke$ha, sich nicht beim ersten Mal von Typen überreden zu lassen, die nur Sex im Kopf haben.
Das Konzept des Brat Rap wurde schon vor über drei Jahren auf die Spitze getrieben. Ausgerechnet in Frankreich machte sich das Label Ed Banger daran, elektronische Tanzmusik auf den Kopf zu stellen. Eine neue Härte, die eine Fusion aus Elektro, Rap und Rock vorangetrieben hat, prägte bis zum Ende des Jahrzehnts viele Clubs in Europa. Zur Geheimwaffe des Labels wurde Uffie, die schon vor Ke$ha dem Brat Rap Leben einhauchte.
Ebenfalls wie das US-Sternchen will die Wahlpariserin mit ihrem Debüt im Frühjahr mit Provo-Texten auffallen, ihr Album war allerdings schon für 2007 geplant. Neben der für das Label üblichen Verspätungen funkte Uffie Schwangerschaft dazwischen. Doch mit der digitalen Veröffentlichung der Single "MCs Can Kiss" werden wieder einmal aggressive Forderungen um selbstbestimmte weibliche Sexualität und Musik verkündet. Dazu kommt eine weitere Single namens "Add SUV", die mit einem Feature von Neptunes-Ikone Pharell Williams in den nächsten Wochen veröffentlicht wird und die Deutschland-Tour im Mai einleitet.
Uffies Beats sind härter, roher, die Produktion insgesamt weniger zuckerüberladener Pop wie bei Ke$ha. Die Songs stammen aus der Feder des Elektroproduzenten Mr.Oizo und ihrem Ex-Freund Feadz. Uffie verkündet unmissverständlich das Ed-Banger-Motto: hart, direkt und dennoch harmonisch. Ihre Rap-Wurzeln scheinen durch jede einzelne Produktion durch. Wie schon vor ihr in der Goldketten-überladenen Oldschool glorifiziert Uffie den absoluten Exzess auf Partys und das grenzenlose Ausleben von sexueller Leidenschaft. Für sie jedoch ist kein Mann es wert, ihm hinterherzutrauern, solange sich Uffies Text-Ich selbst treu bleibt und seine Wünsche auslebt.
Lass dich nicht zum Sexobjekt degradieren, denn du bist viel mehr wert und deine Zuneigung muss sich erst verdient werden. Von "The only thing you get tonight is my fucking drink tab" hin zu "Im like this cold ass bitch and I aint ready to suck" reicht die Palette, aus der geschöpft wird und noch stellenweise drastischer ausfällt.
Nicht verwunderlich, dass ein Großteil der Inspiration für Ke$ha aus dem Subkultur-Erfolg von Uffie abgekupfert wurde. Sowohl das Styling als auch die Musik, selbst die Ästhetik der Videoclips sind verblüffend ähnlich. Es scheint die zeitgemäße Verwertung des Potenzials von Brat Rap zu sein, brauchte doch der Elektrosound bis zum letzten Jahr seine Zeit, um die USA zu erobern.
Der Erfolg auf kommerzieller Ebene ist der Kopie sicher: Direkt auf den ersten Platz der Billboard-Albencharts konnte Ke$has Debütalbum "Animal" bereits viel Boden gutmachen. Dazu zwei Singles in den Top 10 und fertig ist der Shooting-Star, der es auch mittlerweile in Deutschland an die Spitze der Charts geschafft hat. Das millionenschwere Budget und eine kopierte Idee zeigen wieder einmal, wie die Musikindustrie funktioniert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül