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Archiv-Artikel

Neudorf gegen neue Nazis

Duisburg-Neudorf wurde am Samstag zum Aufmarschgebiet von Neonazis. Die Polizei riegelte den gesamten Stadtteil ab. Protestierende Anwohner wurden zeitweise eingekesselt

AUS DUISBURGHOLGER PAULER

Kein Durchkommen, nirgends. Personal- oder Presseausweis war Voraussetzung. Ansonsten blieb der Duisburger Stadtteil Neudorf am Samstag für Außenstehende abgeriegelt. Der Grund: So genannte Freie Kameradschaften, NPD und Nationaler Widerstand hatten bundesweit zu einem Aufmarsch in der Duisburger Innenstadt mobilisiert. 700 sollten kommen, 250 waren es tatsächlich. Genug, um zumindest den Neudorfer Bürgern den Tag zu versauen.

Der Protest im Stadtteil selbst verlief nach Angaben der Bündnisses „Neudorf tanzt“ überwiegend ohne Zwischenfälle. Probleme gab es, als vor der Gemeindekirche Neudorf-West ein Ei auf die Nazis flog. Die Polizei bezeichnet den Vorfall als Steinewurf. Sie nutzte dies, um 60 Gegendemonstranten einzukesseln. Gemeindepfarrer Olaf Jellema wurde vorrübergehend in Gewahrsam genommen. Ältere Menschen flüchteten weinend in ihre Häuser. Im Kessel hätten sich etliche Anwohner befunden, sagte eine Sprecher des Neudorfer Bündnisses. Bis zu den Übergriffen sei die Atmosphäre relativ entspannt gewesen, danach sei sie gekippt. Über 1.000 Polizeibeamte sorgten am Demotag für die Trennung. Den Vorwurf zu hart gegen die Gegendemonstranten vorgegangen zu sein wies die Polizei zurück.

„Ein breites Bündnis aus Familien, Alt-Linken und Kirchenleuten“ hätte gezeigt, dass für die Nazis in Neudorf kein Platz sei, so ein Organisator. Der Kontrast: Aus Lautsprechern der Nazis dröhnte „Vollgas voraus“, unterbrochen von ausländerfeindlichen Reden. Rechte warfen Augenzeugenberichten zu Folge eine Rauchbombe auf die Bevölkerung. Getroffene Anwohner stellten Strafanzeige. Nach Angaben von Polizeisprecher Reinhard Pape wurde die Rauchbombe von Gegendemonstranten gezündet. Bereits im Vorfeld des Nazi-Aufmarsches hatte es Unmut unter den Neudorfer Bürgern gegeben. Die Duisburger Polizei hatte die Route aus „taktischen Gründen“ nicht bekannt gegeben. „Eine Provokation für viele Anwohner“, sagte Pfarrer Olaf Jellema.

Nach den jüngsten Wahlerfolgen bei der Landtagswahl in Sachsen und teilweise bei der Kommunalwahl in NRW hatten die Rechten mit mehr Unterstützung in der Bevölkerung gerechnet. „Es scheint als hätten sie ein Mobilisierungsproblem“, sagt Marc Mulia, Neudorfer Bürger und Mitglied der „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“. 1.500 Menschen stellten sich nach Angaben der Veranstalter auf zwei Kundgebungen außerhalb und kleineren Veranstaltungen im Stadtteil dem Aufmarsch entgegen.

Am Nachmittag zogen die Rechten weiter nach Recklinghausen. Dort hatte die Polizei vor zwei Wochen ein Nazi-Konzert aufgelöst. Vorwand für die Rechten, zu marschieren. 150 Personen aus dem rechten Spektrum, darunter auch der Hamburger Neonazi Christian Worch, trafen auf 500 Gegendemonstranten. Auch hier sei die Polizei nach Augenzeugenberichten teilweise heftig gegen die Nazi-Gegner vorgegangen. Für die kommenden Samstage haben die Rechten weitere Kundgebungen angekündigt – bis Heiligabend.