Neuauflage von Guns-N'-Roses-Debüt: Kontrolle und Zügellosigkeit
„Appetite for Destruction“ war das Debütalbum von Guns N’ Roses. Jetzt wird es mit dem Titelzusatz „Locked N’ Loaded“ erneut veröffentlicht.
Es wird gute Gründe gegeben haben, warum dieses Boxset nicht pünktlich zum 30-jährigen Jubiläum im vergangenen Jahr erschienen ist. Irgendeine ganz abgefeimte Marketingstrategie oder das übliche Tantiemenhickhack mit dem Guns-N’-Roses-Gründungsgitarristen Izzy Stradlin, der schon der Reunion ferngeblieben ist, weil die alten Freunde „die Beute nicht gerecht aufteilen“ wollten.
Aber eine höhere Wahrheit steckt auch in dieser verspäteten Wiederveröffentlichung. „Appetite For Destruction“ stieß bei seiner Erstveröffentlichung, damals, im Juli 1987, zunächst auf mäßige Resonanz. Alles sah nach einem bloßen Achtungserfolg für die Band aus, genau das hatte ihr Manager Alan Niven vorausgesagt, der dem Debüt seiner Schützlinge keine großen kommerziellen Sprünge zutraute. Die Spartenpresse erkannte noch am ehesten, was sie an „Appetite for Destruction“ hatte, geizte aber auch nicht mit Kritik. Guns N’ Roses galten vielen Halbinformierten als Aerosmith-, Besserinformierten als Hanoi-Rocks-Epigonen. Und das Mainstream-Lager, allen voran der Rolling Stone, zuckte nur mit den Schultern.
Als die Band Ende September 1987 auf ihrer ersten Europa-Stippvisite in der Hamburger Markthalle vorbeischaute, reichte es noch nicht einmal für genügend Roadies. Szeneveteranen erzählen ihrer kuttentragenden Brut gerne, wie sie Slash, Izzy und Duff damals geholfen haben, die Amps rauszutragen. Eine talentierte Garagenband aus L.A. mit einem überlebensgroßen Selbstvertrauen und, zugegeben, einigen großartigen Songs, mehr waren sie 1987 noch nicht.
Der Hype begann erst im Jahr darauf – über den zweiten Bildungsweg. Als MTV das Video zu „Sweet Child O’ Mine“ einmal pro Stunde sendete, 24 Stunden am Tag, in Heaviest Rotation also, kletterte nach der Single auch das Album an die Spitze der Charts und wurde dann noch zum meistverkauften Debüt aller Zeiten.
White-Trash-Depp Axl W. Rose
Das „Locked N’ Loaded“-Boxset enthält viel Bekanntes in remasterten Versionen – neben dem obligatorischen Masterpiece das bald darauf zusammengestoppelte „Lies“-Album und alte B-Seiten mit Live- und Cover-Songs. Dass der wegen seiner dümmlichen Parolen inkriminierte Song „One In A Million“ fehlt, will man der Band jetzt als „Geschichtsklitterung“ auslegen.
Ehrlich gesagt vermisse ich ihn nicht. Bestenfalls hat der White-Trash-Depp Axl W. Rose tatsächlich was dazugelernt, schlimmstenfalls will man einfach keinen Beifall von der falschen Seite, dem US-Präsidenten und seinen Alt-Right-Schergen. Beides kann man eigentlich nur gutheißen.
Aufschlussreich sind die Alternativ-Versionen und Leftovers aus früheren Sessions. Sie führen einen zurück zu den Anfängen einer Band, die noch herumprobiert und an ihren Songs feilt. Gerade die rohen, verdaddelten oder unfertigen Urversionen werfen ein neues Licht auf die Qualität des endgültigen Materials. Schön zu hören ist das bei der grandiosen Coda von „Rocket Queen“, für den US-Kritiker Chuck Klosterman die besten zweieinhalb Minuten der achtziger Jahre.
Am selben Strang ziehen
In der „Sound City Session“-Version stimmt der Übergang nicht. Man schrubbt fahrig eine Tonleiter und dann folgt gleich die mäßig inspirierte Leadgitarre – von einer Dramaturgie kann hier gar keine Rede seine. In der Albumversion kündet eine kurze Fermate vom Stimmungswechsel, der sich dann durch ein auftrumpfendes Riff manifestiert, gefolgt von Fingerpicking, das den Boden bereitet für Axls inbrünstige Liebeserklärung.
Guns N’ Roses: „Appetite For Destruction – Locked N’ Loaded“ (Geffen/Universal)
Und jetzt weiß auch Slash auf einmal genau, wie er seinem Freund mit einem Solo zur Hilfe kommen kann. Es rührt einen, wenn man hört, wie die beiden an einem Strang ziehen. Napoleon-Syndrom, Fehde, schmutzige Wäsche, all das ist noch in weiter Ferne.
Die meisten unveröffentlichten Tracks entstammen den legendären, von Nazareth-Gitarrist Manny Charlton betreuten 1986er Sessions im „Sound City“-Studio, die Axl und Co schließlich enttäuscht abbrechen. Sie sind unzufrieden mit dem Sound und zweifeln stark daran, ob der englische Gentleman-Rocker ihre selbstzerstörerische Energie konservieren kann. Das hört man.
Die „Shadow Of Your Love“-Version von Mike Clink, ein erster Test, ob es der neue Produzent bringt, zeigt gerade im direkten Vergleich mit der Charlton-Aufnahme, warum Clink schließlich den Zuschlag bekommt. Sein Gitarrensound ist direkter, weiter vorn im Mix, Slash hat hier bereits seinen unverwechselbaren Ton – und die Band findet die nötige Balance aus Kontrolle und Zügellosigkeit, die „Appetite“ als Ganzes auszeichnet.
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