frisches flimmern : Neu und selten
Ob Dokumentar-Experiment, Polit-Satire oder opulente Liebesschmonzette. Erstaunliche Kinofilme mit Seltenheitswert.
Der Sheriff
Ein Psychopath sieht rot. Im Kampf gegen den allgemeinen Werteverfall in unserer gleichgültigen Gesellschaft übt Mux (Drehbuchautor Jan Henrik Stahlberg) Selbstjustiz, um seinen Mitmenschen wieder Solidarität und Verantwortung beizubringen. Seine Methoden sind einfach und wirkungsvoll. Der selbst ernannte Ordnungshüter ist ein Mann der Tat. Mux gründet die „Gesellschaft für Gemeinsinnpflege“. Erst als der Goethe-Fan Mux sich in ein Mädchen verliebt, nimmt das Verhängnis seinen Lauf. „Muxmäuschenstill“ ist der Debütfilm von Regisseur Marcus Mittermeier. Ihre böse Satire über einen selbst ernannten Sheriff in Berlin hat nur 40.000 Euro gekostet. Sämtliche Filmförder-Anträge wurden abgelehnt. Die Hauptfigur des Mux mit den schon faschistoiden Zügen erinnert in ihrer moralischen Unbefangenheit an Travis Bickle (“Taxi Driver“). Ähnlichkeiten deuten sich auch zum Auftragskiller und Film-im-Film-Motiv in „Mann beißt Hund“ an. Moralisches Handeln soll thematisiert, aber nicht gewertet werden. „Denn Filme mit erhobenem Zeigefinger sind stinklangweilig“, sagt Regisseur Mittermeier. „Muxmäuschenstill“ erhielt unter anderem Hauptpreis und den Publikumspreis beim diesjährigen Max-Ophüls-Filmfestival. Seltenes unabhängiges, deutsches Kino.
Der Diktator
Der dänische Regisseur Lars von Trier (“Dogville“) ist ein besessener Forscher. Auch in seinem neuesten Experiment „The Five Obstructions“ untersucht er das Wesen des Films. Er lässt den dänischen Dokumentarfilmkollegen Jorgen Leth fünf neue Versionen seines 1967 entstandenen Kurzfilms „The Perfect Human“ drehen. Das zwölfminütige Werk untersuchte menschliches Verhalten. Bei den Neuverfilmungen muss Leht aber diesmal bestimmte Einschränkungen berücksichtigen. Die Herausforderung entwickelt sich zu einem filmischen Duell, bei dem Lars von Trier die Regeln diktiert und Jorgen Leth auf filmische Weise kontert. Der erste Teil musste auf Kuba gedreht werden und durfte nur zwölf Einzelbilder pro Einstellung haben. Die zweite Version wurde mitten im ärmlichen Rotlichtviertel von Bombay realisiert. Für Leht der unangenehmste Ort der Welt. Die entstandenen Filme wurden zum Gegenstand des Dokumentarfilms „The Five Obstructions“, der auch den Entstehungsprozess zeigt. Ein überlegtes Filmexperiment mit Anleitung.
STEFAN ORTMANN