■ Neu im Cinema: Was Sie nie über Frauen wissen wolten
„Die Stadtpsychotinnen“ wäre auch ein passender, ebenfalls bei Woody Allen entlehnter, Titel für diesen Film. Denn hier lassen vier Frauen in einer therapeutischen Wohngemeinschaft einfach alles heraushängen. Regisseur Lothar Lambert scheint nur seine wackelige Kamera und ein schlecht ausgesteuertes Mikro draufgehalten zu haben.
Nilgün ist mannstoll und singt Loblieder auf Eicheln und Schwänze, Dennis will auf eine recht agressive Art ihre Mitbewohnerinnen zur lesbischen Liebe verführen, Renate spricht nur Englisch mit einem schauerlichen Akzent und entdeckt, nachdem ihr Sohn in die WG einzieht, die Freuden des Inzest'. Doris ist eine Alkoholikerin mit sadistischen Vorlieben; aber vielleicht simuliert sie auch nur, um als armes Mädchen aus dem Osten Wohnraum auf Krankenschein zu ergattern.
Therapeut Dr. Merkel und seine schußlige Kollegin können jedenfalls eine Neurose nicht von einem Gummibaum unterscheiden, und so brodeln die Phobien 80 Filmminuten lang mit wenig Plan, aber umso mehr Witz vor sich hin.
Lothar Lambert gilt als Berlins einziger „Undergroundfilmer“ — er hat in 20 Jahren 20 „dirty little pictures“ produziert, und nach Aussage eines Berliner Kritikers ist dieser Film „besser als vieles, was Lambert in letzter Zeit drehte“. Tatsächlich hat das holperige Werk, bei dem fast nur Laien in improvisierten Szenen aufeinander losgelassen wurden, einen ganz eigenen Reiz, der irgendwo zwischen voyeuristischer Lust, Balanceakten an der Ekelgrenze und der Freude an gut angerichtetem Chaos liegt. Denn der Dilettantismus hat bei Lambert Methode: Die diffusen Dialoge wirken zusammen mit den kunstlosen Schwarz-Weiß-Bildern oft so authentisch wie das Leben eben ist.
Die Szenen, in denen Lambert selber sich in der Rolle des Dr. Merkel psychologischen Beistand von seinem sächselnden Masseur holt, sind dagegen präzise auf die komische Wirkung hin inszeniert und getimt. Auch mit den Unbilden der Technik geht Lambert souverän um: die vom Kopierwerk verpfuschten Aufnahmen benutzte er einfach als verfremdete Traumsequenzen. Wenn ein Darsteller von einer Aufnahme zur andern plötzlich einen Bart trägt und dieser auch prompt in der nächsten Szene wieder verschwindet, stört das Lambert nicht weiter: kaputte Bilder für eine kaputte Welt.
Nur wer sich mit ihm auf dieses Spiel einläßt, hat hier seinen Spaß. Für jene, die alles lieber schön ordentlich haben, sollte der Film eher heißen: „Was sie nie im Kino sehen wollten“.
Wilfried Hippen
Cinema 20.45 Uhr
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