piwik no script img

Neu an die Öffentlichkeit geholtRomankapitel gegen die Öl-Mafia

Ein fehlendes Kapitel aus dem Roman "Petrolio" von Pasolini wird jetzt ausgestellt. Es ist das womöglich zentrale Kapitel eines Romans, der vor allem eine politische Anklageschrift ist.

Offshore-Plattform der Ölfirma ENI. Bild: Enrico Strocci – Lizenz: CC-BY-SA

ROM taz | Eine literarische Sensation mit kriminalistischen Weiterungen kündigt sich in Italien an. Auf der "Schau des antiken Buchs" in Mailand soll vom 12. März an das Manuskript eines bisher verschollenen Kapitels aus Pier Paolo Pasolinis unvollendetem Roman "Petrolio" ausgestellt werden. "Petrolio" war Pasolinis letztes literarisches Projekt und - so glauben viele seiner Freunde - auch das Motiv, dass der Schriftsteller und Regisseur in der Nacht vom 1. auf den 2. November 1975 ermordet wurde.

Als Alleintäter verurteilt wurde der Strichjunge Pino Pelosi, und die Lesart des Gerichts war, dass er Pasolini nach einem Streit erschlagen hatte, wie es eben passieren kann im schwulen Strichermilieu. Doch auch Pelosi selbst sagte später, er sei nicht allein am Tatort in Ostia vor den Toren Roms gewesen.

Freunde Pasolinis dagegen vertraten seit je die Ansicht, es habe sich um einen politischen Mord gehandelt. Einen Monat nach seinem Tod drangen unbekannte Einbrecher in Pasolinis Arbeitszimmer ein. Wahrscheinlich nahmen sie dabei auch das jetzt wieder aufgetauchte Kapitel aus "Petrolio" mit. Es fehlt in dem 1992 erschienenen Romanfragment, obwohl Pasolini in verschiedenen Notizen immer wieder von ihm spricht. Und es ist das womöglich zentrale Kapitel eines Romans, der vor allem eine politische Anklageschrift ist.

Denn in "Petrolio" beschäftigte sich Pasolini mit den illegalen Machenschaften der politischen und der ökonomischen Macht im Italien der Sechziger- und Siebzigerjahre. Das Petroleum, um das es geht, wird von der staatlichen Erdölgesellschaft ENI gefördert, die unter ihrem Chef Enrico Mattei enormen politischen Einfluss erlangte. Mattei wurde 1962 bei einem als Unglück hingestellten, aber durch eine Bombe an Bord ausgelösten Flugzeugabsturz getötet. Pasolini sah in Matteis Nachfolger Eugenio Cefis den Drahtzieher in einem Geflecht aus Mafia, Wirtschaft und Politik.

Jenes Kapitel, das ausgestellt wird, heißt "Die Blitze der ENI" und behandelt angeblich auf 78 Seiten die realen Verschwörungen um den Staatskonzern. Wie gefährlich es war, sich mit diesem Komplex zu befassen - für Pasolini standen seine Protagonisten auch hinter der Geheimloge P2 und hinter zahlreichen Bombenanschlägen im Italien der 70er-Jahre -, hatte sich mit der Ermordung des Journalisten Mauro De Mauro gezeigt. Der hatte für den Film Francesco Rosis "Der Fall Mattei" recherchiert und wurde 1970 von der Mafia liquidiert. Jener Staatsanwalt, der noch in den letzten Jahren die Ermittlungen zum Tod Matteis wieder aufgenommen hatte, nahm auch Pasolinis "Petrolio" offiziell zu den Beweisstücken.

Umso pikanter ist, wer jetzt das Manuskript der Öffentlichkeit präsentieren will: Marcello DellUtri. Er war Berlusconis rechte Hand beim Aufbau von dessen Medienimperium, dann bei der Gründung der Partei Forza Italia - und soll dabei hervorragende Kontakte zur Mafia gepflegt haben. In erster Instanz wurde er wegen Unterstützung der Cosa Nostra zu neun Jahren Haft verurteilt. DellUtri hat sich nicht geäußert, bei wem er das Manuskript erworben hat. Doch da es sich um ein Diebesstück handelt, das wichtige Aufschlüsse über den Tod Pasolinis liefern kann, forderte der Schriftsteller und Pasolini-Freund Gianni DElia die Beschlagnahmung des Manuskripts durch die Staatsanwaltschaft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!