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Neonazi-Unterwanderung in MecklenburgWiderspruch aus Schwerin

Bundesinnenminister Friedrich spricht von einer Unterwanderung Ostdeutschlands durch Neonazis. Mecklenburgs Innenminister Caffier sieht das anders.

Ist Ostdeutschland nun unterwandert oder nicht? – Hans-Peter Friedrich (li.) und Lorenz Caffier sind sich da nicht ganz einig. Bild: dapd

SCHWERIN epd/taz | Die rechtsextreme Szene in Mecklenburg-Vorpommern hat 2011 keine neuen Anhänger dazugewonnen. Ihr würden insgesamt rund 1.400 Personen zugerechnet, erklärte Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) am Dienstag in Schwerin. Wieviele Gewaltbereite darunter sind, konnte der Verfassungsschutz nicht genauer sagen. Die Zahl dürfte aber im dreistelligen Bereich liegen, hieß es.

Während Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich von einer Unterwanderung Ostdeutschlands durch Neonazis spricht, unterstützen die Zahlen diese These nicht unbedingt. Caffier fügte am Mittwoch in einem Interview mit der Rheinischen Post noch einen direkten Widerspruch hinzu: „Die Reduzierung des Rechtsextremismus auf einzelne Regionen in Deutschland sehe ich als einen großen Fehler an“, so der Minister.

Ein Warnzeichen sei, dass sich Anhänger zunehmend im Sinne nationalsozialistischen Gedankengutes politisieren lassen. So sei die Zahl der politisch orientierten Neonazis von 300 auf etwa 400 gestiegen, während die Anhängerschaft rechter Subkulturen eher abgenommen habe. Das bundesweit einmalige enge Zusammengehen zwischen Neonazistrukturen und NPD im Nordosten ermögliche der Partei mit ihren nur etwa 400 Mitgliedern eine deutlich über ihre eigene Stärke hinausgehende Präsenz in der Fläche.

Konzertgeschehen von großer Bedeutung

Laut Verfassungsschutzbericht gingen im vergangenen Jahr 37 Gewalttaten auf das Konto Rechtsextremer, das waren acht mehr als im Vorjahr. Neben Angriffen im Landtags- und Kommunalwahlkampf bereiteten den Behörden auch Droh-, Verleumdungs- und sogenannte Outing-Aktionen gegen Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, Sorge. Das ideologisch aufgeladene Musik- und Konzertgeschehen hat laut Verfassungsschutz für die Szene eine große Bedeutung. Zunehmend werden im Internet auch nichtextremistische Netzwerke wie Facebook genutzt.

Caffier sagte, die wehrhafte Demokratie befinde sich „in einer großen Bewährungsprobe“. 2011 habe sie eine ihrer schlimmsten Niederlagen einstecken müssen, sagte der Innenminister mit Verweis auf die rechtsextreme Zwickauer Terrorzelle, deren Morde an Migranten und einer Polizistin jahrelang von den Behörden unentdeckt blieben.

Nazi-Outings nehmen zu

Die Zahl der aktionsorientierten gewaltbereiten Linksextremen ist den Angaben zufolge um 50 auf 300 gestiegen. Schwerpunkte der Autonomenszene sind demnach Rostock und zunehmend Greifswald. Die Zahl der Gewalttaten erhöhte sich um 15 auf 39, darunter waren Aktionen gegen Neonazis sowie Brandstiftung an Bundeswehrfahrzeugen in Rostock.

An Bedeutung hätten zudem linksextremistische Outing-Aktionen gewonnen. Sie seien für Rechtsextremisten unangenehm, da sie zum Teil erhebliche berufliche und private Nachteile dadurch hätten, sagte Caffier.

Während der islamistische Terrorismus in weiten Teilen westlicher Gesellschaften als größte Gefahr für die innere Sicherheit gesehen werde, sei Mecklenburg-Vorpommern kein „Hot Spot“, so Caffier. Trotzdem seien 2011 auch in Rostock, Wismar und Greifswald wiederholt salafistische Propaganda-Aktivitäten festgestellt worden.

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5 Kommentare

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  • B
    Birger

    Bin ebenfalls von der unkritisch, affirmativen Berichterstattung der taz enttäuscht. Lieber einen Tag später berichten und dafür besser recherchieren und hintergründiger informieren.

    Die Kriminalisierung der Antifa und all derer, die sich den Neonazis in den Weg stellen bzw. setzen, stellt eine ungerechtfertigte Ächtung von engagierten BürgerInnen mit Zivilcourage dar. In diesem Schoß bleibt Rechtsextremismus fruchtbar!

     

    PS: An alle taz-RedakteurInnen und AutorInnen: Ich musste kürzlich den Ausdruck "Rassendiskriminierung" lesen. Dieser gut gemeinte Begriff impliziert das Vorhandensein menschlicher Rassen. Besser "rassistische Diskriminierung". Siehe Institut für Menschenrechte zur Abschaffung des Begriffs "Rasse".

  • M
    Mike

    Na klar, die "aktionsorientierten gewaltbereiten Linksextremen" sind große Feinde des Staates und gefährlich, weil ja aktions- und gewaltbereit.

     

    In der Realität kann das freilich bedeuten, dass sie sich a) nicht von den Neonazis aufmischen lassen wollen und b) dass sie sich staatlicher Anordnung widersetzen. Der Verfassungsschutz liebt Linksextremistem über alles, deswegen musste ja schon ein Engländer sich in der Szene bewegen und überhaupt sind hier die spitzel nicht selten Infiltranten.

     

    Deswegen habe ich ein Problem damit, wenn man die Perspektive des Verfassungsschutzes einfach übernimmt. Die Anzahl der linken Straftaten ist ja auch so eine Sache: Es reicht, wenn einer ein A im Kreis auf den Bahnhof malt. Das wird dann von der Bahnhofspolizei gemeldet und landet irgendwann in der Statistik. Und in der Summe wird dann vermutet, dass propagandaartige Delikte um XYZ zugenommen hätten, dabei wollte nur Y aus der Oberstufe mal mutig sein, der selber gar nicht Anarchist ist oder weiß, was das überhaupt sein soll.

     

    Insofern hat Mecklenburg-Vorpommern vielleicht gar keine 'linksradikale' Szene, sondern es gibt dort Menschen die linksradikale Ideen haben, die sind aber erstens nicht strafbar und zweitens für den Verfassungsschutz nicht relevant.

     

    Es würde mich nicht wundern, wenn es Ziel der Behörde wäre, gerade jetzt den Linksextremismus so hinzutrimmen, dass sie nicht sagen müssen, wir haben hier n u r XYZ Neonazis und von denen sind sogar XYZ gewaltbereit. (Und XX V-Männer erhalten pro Monat bis zu 1000 EURO und wir erhalten dafür gefakte Infos, die bislang nix brachten)

    Dann ist es natürlich toller, wenn man sagt: wir haben die und die linksradikalen gewaltbereiten Leute. Das war schon die idiotische Perspektive des Verfassungsschutzes in Thüringen. Die fanden dort linksextreme Gruppen und Menschen hoch gefährlich.

  • IE
    Ich erstmal

    Schließe mich dem Kommentar von "ich" an. Isr der ewige Diskurs über Links- und Rechst"extreme schon nicht aus der Welt zu bekommen (damit ist nicht nur selbige Zeitung dieses Namens gemeint), so wäre doch die TAZ eigentlich in der Lage, diese unsägliche und falsche Bezeichnung nich auch noch zu übernehmen. Ein Setzen in Anführungszeichen wäre schon mal zumindest ein Anfang.

    Als kleiner Tipp zum "Extremismus" -Begriff:

     

    http://www.youtube.com/watch?v=hzGn_TIR4ZI

  • I
    ich

    Es ist echt unerträglich, wie eine ehemals linke Zeitung die Extremismustheorie unhinterfragt reproduziert.

  • G
    Georg

    Vielleicht könnte man sich vor den Nazis aus den fünf neuen Kummerkästen schützen, wenn man eine Mauer und davor dann so ein Streifen mit ein paar Minen, ach, gab´s ja schon, hat aber leider nicht gehalten, Mist.