Neonazi-Aufmarsch in Remagen: Demo gegen „Heldengedenken“
Am Samstag erinnerten Neonazis in Remagen mit einem Trauermarsch an das Rheinwiesenlager. Ein breites Bündnis stellte sich ihnen entgegen.
Dieses Ritual hatten sich der Führungskader des mittlerweile zerschlagenen „Aktionsbüro Mittelrhein“ in Ahrweiler ausgedacht. Mit von der Partie in Remagen sind regelmäßig die Parteien „Die Rechte“ und „Der III. Weg“, NPD-Mitglieder sowie Freie Kameradschaften und ehemalige Mitglieder des „Aktionsbüros Mittelrhein“.
Unter dem Motto „Den braunen Dreck wegschaufeln“ stellte sich in diesem Jahr ein breites gesellschaftliches Bündnis bestehend aus Gewerkschaften, Jugendverbänden, Parteien, Kirchen und dem Asta des RheinAhrCampus den Faschisten entgegen. Die Gruppen engagieren sich schon lange gegen den alljährlichen Nazi- Aufmarsch. Ihr Motto ist in diesem Jahr angelehnt an die Flutkatastrophe im benachbarten Ahrtal.
Die Lager in der „Goldenen Meile“
An den Ufern des Rheins waren im Frühjahr 1945 in allen drei Besatzungszonen der Westalliierten mehr als sieben Millionen deutsche Kriegsgefangene in 17 Lagern interniert: Wehrmachtssoldaten, Waffen-SS, minderjährige Flakhelfer von der Hitlerjugend und alte Männer vom Volkssturm sowie einige Frauen.
Die britischen Lager, so schreibt ein Militärhistoriker, seien besser ausgestattet gewesen als die französischen und die amerikanischen. Die Franzosen hatten selbst kaum etwas zu essen, da die deutsche Besatzung in Frankreich fast alles geplündert und abtransportiert hatte.
Aber auch die Amerikaner zeigten sich von der großen Zahl an Gefangenen überfordert. So hatte sich die gesamte Heeresgruppe B der Wehrmacht, die im Ruhrgebiet eingekesselt worden war, ergeben. Mehr als 300.000 Mann gerieten auf einen Schlag in amerikanische Gefangenschaft. Dazu kamen die 250.000 Menschen, die bei der Eroberung des Rheinlandes in amerikanische Gefangenschaft genommen worden waren.
Zwischen Remagen und Sinzig entstand eines der größten Kriegsgefangenenlager – wegen der goldgelben Farbe der reifen Getreideähren des Ackerbaugürtels „Goldene Meile“ genannt. Die breiten Rheinwiesen auf der untersten Terrasse des Rheintales und die angrenzenden Felder boten dafür ausreichend Platz. Mehr als 300.000 Männer und einige Frauen wurden innerhalb einer schnell errichteten Stacheldrahtumzäunung interniert.
Katastrophale humanitäre Zustände
Die Lager sollten Durchgangslager sein. Die Gefangenen wurden erfasst, verhört, man suchte Kriegsverbrecher und Nazi-Partisanen, die den beendeten Krieg mit gezielten Anschlägen gegen die Besatzer fortsetzen wollten.
In Frühjahr 1945 gab es keine ausreichende Verpflegung, die Menschen hungerten und wurden krank. Nach vielen Monaten wurden die Lager aufgelöst, die Kindersoldaten der HJ und alte Männer vom „Volkssturm“ nach Hause entlassen. Die Arbeitsfähigen wurden zum Aufbaudienst in die zerstörten Länder Europas gebracht. Sie sollten vor allem in Bergbau und in der Landwirtschaft eingesetzt werden.
In den provisorisch errichteten Lagern in der „Goldenen Meile“ herrschten katastrophale humanitäre Zustände. Die Insassen kampierten zunächst unter freiem Himmel auf den Wiesen und mussten sich mit bloßen Händen oder primitiven Werkzeugen Erdlöcher graben, die ihnen wenigstens ein bisschen Schutz vor Regen und Kälte bieten konnten.
Drei Bündnisse gegen die Rechten
Zwar orderten die Amerikaner rasch zusätzliche Verpflegung aus der Heimat, sie reichte aber bei Weitem nicht aus. Nach der Lagerüberagbe an die französische Besatzungsmacht im Sommer 1945 verschlechterte sich die Versorgung: Da die Franzosen selbst kaum etwas zu essen hatten, verbrauchten sie die Vorräte der GIs.
Nach offiziellen Zahlen verstarben in beiden Lagern bei Remagen im Frühjahr 1945 insgesamt 1.200 Insassen wegen Hungersnöten, Unterversorgung, und Durchfallerkrankungen. Die Neonazis hingegen behaupten bis heute, es seien Zehntausende mehr gewesen.
Jahr für Jahr gehen sie auf die Straße, um den Opfern dieser, wie sie es nennen, „Massenvernichtung“, zu gedenken: Ein massives Polizeiaufgebot stand bereit, um die Neonazis von den Gegendemonstranten zu trennen. Die Antifaschisten, meist junge Leute, sammelten sich vor dem Bahnhof, die Rechten mehrere hundert Meter entfernt auf dem Parkplatz hinter den Gleisen. Ihre Redebeiträge hörte man in der ganzen Innenstadt.
Drei Bündnisse stellten sich ihnen: das bürgerliche Remagener Bündnis für Frieden und Demokratie, das Bündnis „NS Verherrlichung stoppen“ und „blockzhg“.
Verhüllte „Schwarze Madonna“
In den Anfangsjahren führte die Nazi-Demo am jüdischen Friedhof in Remagen vorbei. Da die Antifaschisten das verhindern wollen, halten sie seit einigen Jahren an dem Tag des Aufmarsches eine Mahnwache. Dieses Mal wurden sie zusätzlich von zwei Zivilpolizisten beschützt.
Ziel der Nazis und der Gegendemo war das ehemalige Lagergelände am Rheinufer, auf dem seit 1970 eine Friedenskapelle mit einer schwarzen Madonnenfigur steht. Die „Schwarze Madonna“ war lange umstritten, weil sie von einem Kriegsgefangenen gefertigt wurde, der auf Adolf Hitlers Liste der „Gottbegnadeten Künstler“ stand. Jedes Mal verhüllen die Gegendemonstranten die Friedenskapelle mit Tüchern. Auf dem gegenüberliegenden RheinAhrCampus bildeten sie eine Menschenkette. Sieben der Protestierende wurden im Laufe des Tages am Rande der Demo festgenommen.
Die Zahl der Rechtsextremen bei den alljährlichen Aufmärschen nimmt stetig ab. Waren es 2017 noch 200, waren es am vergangenen Samstag nur 50.
Ein Grund könnte sein, dass der Aufmarsch seit Jahren nicht mehr von lokalen Kräften, sondern von Neonazis aus Dortmund organisiert wird. Das „Braune Haus“ in Ahrweiler, von dem die Initiative zu dem Gedenkmarsch ausgegangen war, löste sich vor wenigen Jahren im Rahmen eines Prozesses gegen 26 Mitglieder auf.
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