Neonazi-Aufmarsch in Passau: NPD feiert Opferfest
Die NPD marschiert durch Passau: Tausend Bürger protestieren gegen den aggressiven Versuch der Rechten, sich als Willküropfer im Fall Mannichl zu präsentieren.
PASSAU/FÜRSTENZELL taz Am Holzpult mit der aufgeklebten NPD-Flagge steht ein kleiner Mann, der aussieht wie ein Klischee-Nazi aus einem Indiana-Jones-Film. Er trägt einen schwarzen Mantel, einen schwarzen Hut und eine runde Brille. Es ist Axel Reitz, der berüchtigte Kameradschaftsaktivist aus Köln. Es ist dunkel geworden in Passau, die Demonstration läuft schon seit dreieinhalb Stunden.
Die Redner davor haben sich viel beklagt. Dass die Polizei nach dem Anschlag auf Passaus Polizeichef Alois Mannichl so hart gegen die Neonaziszene ermittelt habe, dass die Medien so viel darüber berichteten, dass Passaus Oberbürgermeister Jürgen Dupper versucht hatte, ihren Aufmarsch zu verbieten. Sie haben sich einen Nachmittag lang als Opfer inszeniert. Aber dann kommt Reitz. Demokraten seien "Minusmenschen, erbärmliche Kreaturen", schreit er. "Wir werden Elementen wie Manichl und Dupper durch unsere scharfen Federn und unsere spitzen Zungen Stiche versetzen, von denen sie sich nicht mehr erholen werden." Es ist der negative Höhepunkt eines recht peinlichen Samstages für Passau.
Mittags um elf ist die Welt in der Altstadt noch in Ordnung. In der Fußgängerzone hängt ein großes rotes Transparent mit dem trotzigen Slogan "Rechtsextremisten unerwünscht", davor haben sich etwa 1.000 Bürger versammelt. Es ist die offizielle Gegendemonstration zum Aufmarsch der Rechten. Die Menschen halten rote Karten in die Höhe, tragen "Passau ist Bunt"-Anstecker, auf einer kleinen Bühne steht der Oberbürgermeister von der SPD und verkündet: "Es gibt heute allen Grund, stolz zu sein auf unsere Stadt." Dupper selbst hatte das Verbot gegen die rechte Demonstration verfügt. Die Veranstaltung mit dem Motto "Gegen polizeiliche Willkür und Medienhetze" sei eine Verhöhnung des Opfers Mannichl, hieß es in der Begründung. Doch die Gerichte kippten kurzfristig das Verbot.
Dupper ärgert sich am Samstag noch immer über die Entscheidung. Er ruft: "Die Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten in diesem Land kann man nicht nur den Kommunalpolitikern und der Polizei überlassen." Anschließend ziehen einige hundert Bürger weiter in Richtung der geplanten Route der rechten Demonstration. Sie wollen die Neonazis aufhalten, so ist es geplant. Sie gehen, bis ihnen die Polizei die Straße versperrt. Über 1.400 Beamte sind an diesem Tag in Passau im Einsatz. Einen Kilometer weiter stehen schon die Rechten.
Sie treffen sich vor "Helis Imbiss", einem schon leicht verfallenen, flachen Schuppen gleich neben der Polizeidirektion. Ein verschmutzter VW-Polo fährt vor. Am Steuer sitzt der Demo-Organisator Christian Worch aus Hamburg, auf dem Beifahrersitz der Münchner Neonaziaktivist Philipp Hasselbach. Der holt aus dem Auto gleich die erste Provokation.
Er klebt sie auf die Seitenscheibe. "Käsesemmel: 1 Euro", steht darauf, "Apfelschorle: 1 Euro" und ganz unten "Lebkuchenmänner: Zensiert". Weil der Täter Mannichl mit einem Lebkuchenmesser attackiert hatte, wollten die Neonazis eigentlich verhöhnend Lebkuchenfiguren durch die Stadt tragen. Das Gericht hat ihnen das verboten. Hasselbach blickt auf das Schild und grinst. "Deutsche Sprache, schwere Sprache", meint ein Fotograf. "Mannschafsverpflegung" hat Hasselbach ganz oben auf das Schild geschrieben - ohne "t". Der Neonazi reißt wütend das Schild vom Wagen. Auf dem Platz stehen anfangs weniger als 30 Neonazis. Dann treffen die von weit her mit dem Zug Angereisten an. Auf einmal sind es fast 300.
An der Blockade der Gegendemonstrationen leitet sie die Polizei einfach vorbei in eine Seitenstraße. So marschieren 300 Neonazis stundenlang praktisch ungestört durch die Passauer Innenstadt. Sie skandieren "Nie, nie wieder Israel" und ziehen am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus vorbei. Als sie vor dem Dom Halt machen, stehen nur eine Hand voll Gegendemonstranten am Rand. Auf dem Platz agitiert Hasselbach gegen das Opfer Mannichl. Dieser "ganz bestimmte Polizeibeamte" nutze seine Stellung schamlos aus, schreit Hasselbach und beendet die Rede mit einem "Zitat eines großen Staatsmannes aus großer Zeit". Er meint Hitler.
Wenig später, wenige Kilometer weiter sind in Mannichls Heimatort Fürstenzell die Straßen wie ausgestorben. Aber im Nazi-Treffpunkt Café Traudl brennt Licht. Gegendemonstranten gibt es hier keine, dafür parkt vor der Tür der dreckige Polo von Christian Worch. Die Neonazis feiern, jetzt sind sie ungestört.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen