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Archiv-Artikel

„Nein“ ist keine Antwort

Gaukler waren in der Stadt, und Artisten und Komiker. Wobei sich vor allem die Komiker beim Bremer Straßenzirkusfestival La Strada nicht immer von allen nur einfach konsumieren ließen: Für den improvisierten Bühnenspaß braucht’s schließlich Freiwillige aus dem Publikum. Oder auch Unfreiwillige

Von kli

Winfried hat gut vierzig Jahre Lebenserfahrung auf dem Buckel und trägt Jeansjacke zur Jeans. Er hat eine Frau, die zu ihm passt, wahrscheinlich hat er auch einen Beruf, einen Videorekorder und eine Kalorientabelle in der Küche. Wenn er keine Frau hätte und eine Kontaktanzeige schalten würde, wäre er einer, der mit beiden Beinen im Leben steht. Vergangenes Wochenende war er in den Wallanlagen unterwegs, gut gelaunt, entspannt, offen für das Straßenzirkusfestival La Strada. Die Akrobatik und die Jonglage hat er links liegen gelassen. Ihm war am Samstag Abend nach Comedy.

Für Tante Luise und ihren debilen Neffen Timothy ist so einer wie Winfried ein Glücksfall. Ebenso für die beiden Joostrup-Kellner Josef und Oskar und für den Kabarett-Clown und Motorrad-Macho Johnny Melville. Denn sie alle holen sich Leute wie Winfried auf die Bühne, um zu improvisieren. Und um Winfried zum Improvisieren zu bringen. Weil für alle Beteiligten etwas besonderes passiert, wenn Winfrieds Leben für ein paar Minuten aus dem Ruder läuft.

Winfried hält also Tante Luise umklammert, Tante Luise, die eigentlich Roger Schmitz heißt, akrobatisch fit ist und Winfried soeben besprungen hat. Neffe Timothy schleckt Winfried zum Dank übers Haupthaar. Besser werden kann das jetzt nur noch, wenn Winfried es schafft, den Spieß umzudrehen: Wenn er so reagiert, dass den Improvisations-Profis nichts mehr einfällt.

Schwierig, so ein umgedrehter Spieß, und trotzdem die geheime Hoffnung jeder Show: „Es ist interessant für mich, wenn die Leute die Show unterbrechen“ sagt der schottische Comedian Johnny Melville. Bei seiner Show am Samstagnachmittag kam die neue Herausforderung von einer Schar Kinder, und lange schaffte es Melville, mitzuhalten: Während Melville eine Politiker-Gehirnoperation mit einem Pümpel vorführt, will ihm ein Knirps am Bühnenrand Kaugummi schenken – Melville lässt sich die Kaugummi-Kugel zuschussern und fängt sie mit dem Pümpel auf. Danach krabbelt ein Kleinkind über die Bühne – Melville krabbelt hinterher, fängt das Kind und präsentiert es den Zuschauern: „25 Euro, 30 Euro, wer bietet mehr?“ Bei der Motorrad-Pantomime allerdings ist Schluss: Gerade hat er sich eine Zuschauerin geangelt um sie mit auf Tour zu nehmen, als die Bühne von krabbelnden Kindern geentert wird. Die Kinder schreien „Miau“ und die Zuschauer jubeln. Johnny Melville bricht ab – die Show ist gestolen und nicht mehr zu retten. „Lass’ die Kinder ausdrücken, was sie ausdrücken wollen“ sagt er nachher beim Gespräch im Künstlerzelt. „Wir machen alle verrücktes Zeug. Das ist großartig so.“

„Das Straßentheater“ sagt der 56-jährige Schotte, „ist eine Form, verschiedene Möglichkeiten zu zeigen.“ Möglichkeiten, wie sich’s jenseits von Sicherheitsdenken, Berührungsängsten und Alltagsroutine miteinander umgehen lässt. Deshalb, meint Melville, sei das Refugium für das Straßentheater eigentlich die Straße: „Dort werden die Leute in ihrem Alltag überrascht, und darum geht’s. Zu Festivals wie diesem hier allerdings kommen die Leute mit vorprogrammierten Erwartungen. Damit ist das hier wie ein Zoo – sie kommen, um uns zu sehen.“

Was der spontan gekürten Motorrad-Braut bei seiner nächsten Show sichtlich unbehaglich ist. Katjana steht auf der Bühne, soll mit einem Pfeifchen im Mund das Motorrad-Motorbrummen imitieren und mit Johnny auf einem imaginären Chopper eine Runde drehen. Das mit dem Pfeifchen klappt nicht und als sie gehen will, holt Melville zur Beruhigung ihre Freundin mit auf die Bühne. „Do you feel better now?“ fragt er, und sie sagt: „No.“ Gehen darf sie allerdings erst, nachdem sie auf die Idee gekommen ist, mit Melville Pfeifchen zu tauschen. Denn das scheint ehernes Gesetz zu sein im La Strada-Gehege: „Nein“ ist keine Antwort. kli