■ Nehmen wir das Gericht nicht ernster, als es dies verdient/ Frauen, seid aufgemuntert: Es ist ehrenhaft, Rebellin zu sein: Endlich Privatsache
Das Bundesverfassungsgericht hat dreist entschieden: Schwangerschaftsabbrüche sind künftig eine rechtswidrige, doch straflose und vorwiegend private Angelegenheit. Voraussetzung für die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs ist nur noch, daß sich die ungewollt schwangere Frau beraten läßt. Aber die Entscheidung, ob sie das Kind austrägt, trifft sie selbst. Da die unterschiedlichen Wertvorstellungen in puncto Schwangerschaftsabbruch künftig zur Privatsphäre zählen, wird niemandes Wertkodex verletzt, wenn andere anders denken und handeln.
Das ist in Ordnung. Das stellt nach den vielen Jahren, die Frauen dafür gestritten haben, daß die Entscheidung einer ungewollt schwanger gewordenen Frau für oder gegen das Kind ihre ureigene, weil höchstpersönliche Entscheidung sein muß, weil sie es sein wird, die, sei es auch zusammen mit einem Mann, die Verantwortung für das Kind haben würde, einen gewichtigen Etappensieg dar:
Die RichterInnen trauen sich nicht mehr, den Frauen, deren Wertvorstellungen in puncto Schwangerschaftsabbruch den ihren zuwiderlaufen, mit staatlicher Gewalt zu drohen. Sie wagen es nur noch, den Zeigefinger mißbilligend zu erheben, und denken wohl in patriarchalischer Manier, es genüge, den Geldhahn der Krankenkassen zur Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen zuzudrehen, um der Unbotmäßigkeit der Frauen, die nicht Mutter werden wollen, Einhalt zu gebieten. Das richterliche Menetekel, „ihr tut Unrecht“ stellt ein letztes Auftrumpfen dar, dem von Rumpelstilzchen vergleichbar, ehe es abtritt.
Die Frauen, die sich darüber entrüsten, daß ihr privates Verhalten zwar nicht mehr mit Strafe bedroht, aber als rechtswidrig deklariert wird, sei aufmunternd gesagt, daß es durchaus ehrenhaft und ehrenwert ist, in unserer noch immer vielfältig patriarchalischen Ordnung als Rebellinnen zu gelten. Sehr oft wurden Frauen, die sich nicht in die vorgegebene Ordnung fügen wollten, einfach für verrückt erklärt – egal, ob sie mit offenem Visier oder mit List die herrschenden Verhältnisse attackierten.
Freilich: Privatsachen kosten. Aber der Preis von 400 bis 500 DM für einen guten ambulanten Schwangerschaftsabbruch ist diese Privatsache wert. Vielen Frauen wird es keine Mühe machen, diesen Preis zu zahlen. Diese vielen Frauen, die so frei sind, sich freizukaufen, sollten – und sei es nur, um sich guten Gewissens über ihre freie Entscheidung freuen zu können – Vorsorge für die anderen Frauen zu treffen, denen es Mühe macht oder unmöglich ist, den Preis für die Privatsache Schwangerschaftsabbruch zu zahlen. Z. B. dadurch, daß ein Spendenkonto „Rumpelstilzchen“ eröffnet wird, um den Frauen, die das Geld für einen Schwangerschaftsabbruch nicht haben, dieses je nachdem zu leihen oder zu schenken.
Solch legaler Ungehorsam macht wenig Mühe und enthebt doch die Frauen der Notwendigkeit, weiterhin Vater Staat anzuheulen, damit er tut, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, keine ungewollt schwangere Frau wegen Geldmangels zu zwingen, entweder zum Kurpfuscher zu gehen oder Mutter zu werden.
Das heißt nicht, daß damit die Forderung nach der Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen wie auch von Verhütungsmitteln durch die Krankenkassen von der politischen Tagesordnung abgesetzt wird. Keineswegs. Es geht bloß darum, eigeninitiativ die wenigen Male, in denen eine Frau wegen einer ungewollten Schwangerschaft binnen Monatsfrist eine Entscheidung fürs Leben treffen muß, von dem sachfremden Gelddruck zu befreien.
Rechtswidrig, aber straflos, das ist apart. Üben wir Nachsicht mit den AnhängerInnen der patriarchalischen Ordnung. Sie verteidigen mit dem Beharren auf der Mißbilligung von Schwangerschaftsabbrüchen die Beständigkeit ihrer Wertvorstellungen inklusive der auf ihnen beruhenden hergebrachten Verhältnisse, in denen Frauen und Männer ihren angestammten Platz haben.
Nehmen wir das Bundesverfassungsgericht auf die leichte Schulter und nicht ernster, als es das jedenfalls in Sachen Schwangerschaftsabbruch verdient. Helga Wullweber
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