■ Nebensachen aus Washington: Von Habenden und Habenichtsen
Die 18. Straße in Adams Morgan – dort wo sich das schwarz- weiße Washington bunt und multikulinarisch gibt – ist das Revier von „Mister Compliment“. Da sitzt er Freitag- und Samstagabend auf einer kleinen Mauer vor einem italienischen Gartenlokal und nimmt die Parade der Nachtschwärmer ab, die zwischen Restaurants, Discos und Jazzkneipen hin- und herpendeln. „Mister Compliment“ kennt seine Kunden – und wenn nicht, dann tut er so. „Mein Gott, sehen Sie heute wieder gut aus.“ Das galt der Dame mit dem silbrig schimmernden Minikleid und den Plateausohlen. „Die Ohrringe stehen Ihnen ausgezeichnet.“ Das war an das College-Girl adressiert, an deren Ohrläppchen Plastikmännchen baumeln, die aussehen, als hätte sie jemand von einer Verkehrsampel abkopiert. Männer müssen sich in der Regel mit kargeren Komplimenten zufriedengeben: „nette Schuhe“ oder „coole Krawatte“.
Für vertraute Gesichter wie mich hat er manchmal wichtige Informationen. „Ihr Freund ist schon vor einer halben Stunde hier vorbeigekommen und sitzt im ,Cities‘“. Soll heißen: Mädel, du bist mal wieder zu spät – das gibt schlechte Stimmung.
Konkurrenzkampf um die karitative Gunst
„Mister Compliment“ ist einer von Washingtons Arbeits- und Obdachlosen. Deren Zahl wächst, weshalb der Konkurrenzkampf um die karitative Gunst der Habenden immer härter wird. Einfach nur den Styroporbecher hinhalten und um Kleingeld bitten – das tun viele. Komplimente verteilen und Damen die Hand küssen – das traut sich nur „Mister Compliment“. Und selbst er muß mittlerweile mit „Elvis II“ konkurrieren, der für ein paar Münzen ein eindrucksvolles Potpourri von Presley-Songs präsentieren kann – von „Love me Tender“ bis zu „Muß i denn zum Städtele hinaus“.
„Mister Compliment“ und „Elvis II“ sind Schwarze wie die meisten homeless, die auf den Straßen Washingtons, New Yorks oder Chicagos um Münzgeld betteln. Meine – zugegebenermaßen unsystematischen Beobachtungen – haben ergeben, daß die wenigen weißen Bettler in Washington offenbar sehr viel seltener das Herz der Habenden erweichen. Ich dachte erst, das läge daran, daß sie weder Elvis-Lieder singen noch Höflichkeiten verteilen. „Unsinn“, bemerkte scharfsinnig meine Freundin Clarice. „Weiße Bettler kratzen an dem festen Glauben, daß Armut schwarz ist. Das steigert nicht gerade die Spendenfreudigkeit.“ Umgekehrte Diskriminierung, wenn man so will.
Das Stereotyp des schwarzen Mannes als potentieller Habenichts ist so fest verankert, daß es in den Mittagspausen bei schönem Wetter zu verhängnisvollen Fehleinschätzungen kommen kann. Dann nämlich, wenn ein schwarzer Geschäftsmann, Anwalt, Taxifahrer oder Verkäufer seinen Lunch mit einem Cappuccino auf der Parkbank beschließen möchte – und ein wohlmeinender Weißer im Vorbeigehen ein paar Münzen in den Styroporbecher wirft und ein joviales „Mach's gut, Alter“ murmelt. Das verbessert weder das Aroma des Cappuccino noch die Laune des Schwarzen, der sich in diesem Moment vielleicht dafür verflucht, wegen der Hitze Krawatte und Jackett im Büro gelassen zu haben, die ihn eindeutig der Kaste der „Nicht- Bettler“ zugeordnet hätten.
Sieht man einmal von solchen Mißverständnissen ab, so sind die Umgangsformen zwischen Habenden und Habenichtsen in Washington sehr freundlich. Der Habenichts wünscht auch jenen einen guten Tag und Gottes Segen, die nichts geben; der Habende aber greift häufig in die Tasche und gibt. Auf keinen Fall würde ihm ein abfälliges „Geh doch arbeiten“ über die Lippen kommen.
Meine Freundin Clarice meint nun, daß die Spendenfreudigkeit ihrer Landsleute nicht nur etwas mit der amerikanischen Tradition der Caritas zu tun hat. „Amerikaner haben ein gestörtes Verhältnis zum Kleingeld.“ Vor allem die Männer pflegen die Münzen, die sich im Verlauf der alltäglichen Transaktionen ansammeln, in der Hosentasche aufzubewahren. Trägt der Betreffende einen Anzug, so kann dies zu einer deutlichen Diskrepanz in der Länge der Hosenbeine führen, die um so mehr auffällt, als Amerikaner es für besonders schick halten, zu kurze Hosen zu tragen. Ich habe bis heute nicht herausgefunden, warum. Nicht einmal Clarice weiß eine Antwort.
Egal. Jedenfalls bildet der Münzklumpen schnell linker- oder rechterseits eine Beule, die manchmal die Ausmaße eines kleinen Klingelbeutels annehmen kann – es sei denn, man entledigt sich ab und an des Kleingelds beim Bettler. Frauen wiederum verstauen ihr Kleingeld eher in der Handtasche, was sie nach meinen Beobachtungen seltener zum Spenden veranlaßt. Es sei denn, sie tragen Hosen, was aber in der amerikanischen Berufswelt immer noch nicht sehr verbreitet ist. Und selbst für die Dame in Hosen gilt: Ein Klingelbeutel ziemt sich nicht.
Scheine zu geben gilt als Umverteilung
Grundsätzlich aber gilt: Es werden keine Scheine gespendet. Eine solche Transaktion würde in die gefährliche Nähe der sozialen Umverteilung geraten – und die zu fordern wagt nicht einmal der Bettler. Folglich lautet die Standardformulierung nicht „Haste mal 'nen Dollar?“. Den Dollar gibt es – abgesehen von einigen seltenen Exemplaren des Silberdollars – nur als Banknote. Also fragt der Bettler nach 50 cents oder einem quarter (25 cents) – oder einfach nach change, Kleingeld. Wer mehr will, muß sein Begehren subtil formulieren – so wie jener Penner, der mich neulich in Georgetown angesprochen hat. „Lady, haben Sie ein bißchen Geld übrig? Mir ist gerade nach einem trockenen Martini.“ Fünf Dollar hat er gekriegt. Und die Leute haben indigniert geguckt. Andrea Böhm
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