Nebensachen aus Rom: Kleines Brevier des Abstaubens
■ Ein italienischer sportlicher Ehrgeiz besonderer Art
Der Brief ist höflich in der Form, doch voller Haken und Ösen, was den Inhalt betrifft: „Es kann schon mal vorkommen“, schreibt das „Verwaltungsbüro“ einer Mädchenzeitschrift an unsere Tochter Xenia, „daß man vergißt, ein Abonnement zu zahlen. Nur: Du beziehst ja schon seit drei Monaten unsere Publikation. Nun sei bitte so gut und regle das.“
Womit eine heftige Suche nach dem Einzahlungsbeleg der Post beginnt, über die der fällige Betrag vom Autor persönlich eingezahlt wurde. Der Abschnitt findet sich schließlich im Auto, unter der Fußmatte des Beifahrersitzes. Tags darauf, im Postamt, treffe ich zufällig zwei andere Elternpaare mit dem gleichen Problem. Die eine Familie hatte schon vor einem halben Jahr bezahlt, die andere, wie wir, vor drei Monaten.
Derlei weckt natürlich journalistische Neugier, und bald stellt sich heraus, daß die Mahnerei tatsächlich Methode hat. In der Annahme, daß Abonnenten nach einigen Monaten die Quittungen nicht mehr finden, werden Mahnungen für längst beglichene Rechnungen verschickt. Mangels Beleg zahlen viele ein zweites Mal.
Es ist nicht der einzige Fall dieser Art. In der Schulmensa unserer zweiten Tochter muß jeden Monat das Essensabonnement erneuert werden – erst bei Vorlage des Quittungsabschnittes gibt's das Scheckheft für den nächsten Monat, aus dem dann wieder ein Bon pro Essen entnommen wird. Doch jetzt, am Schuljahresende, verlangte die Mensa plötzlich die Vorlage aller bisher erworbenen Quittungen – für die meisten Eltern unmöglich. Also nachzahlen? Erst eine empörte Initiative der betrogenen Eltern stoppte die Aktion. Freilich stellt sich dabei auch heraus, daß manche Eltern ihre Kinder in die Mensa geschickt hatten, ohne bezahlt zu haben. Sie wollten die fehlenden Abschnitte angeblich immer am nächsten Tag nachreichen, und so mampften die Sprößlinge eben häufig umsonst.
Ausbeutung und Betrug also, von Produzenten an Konsumenten, aber auch umgekehrt: Es scheint eine Art nationaler Sport geworden zu sein, möglichst oft etwas umsonst abzustauben. Beim alljährlichen Volkslauf „Pedagnalonga“ in den kleinen Orten Südlazios wundern sich die Veranstalter immer wieder über das Verhältnis verkaufter Mitläufer-Billetts zum Essenskonsum der Freizeitsportler. Regelmäßig verkaufen sich nur etwa zwei- bis dreitausend Tickets, die dann auch zum Verzehr der Stärkungsmittel berechtigen, die am Wegrand aufgebaut werden. Konsumiert wird aber stets von etwa vier- bis sechstausend Personen. Das Geheimnis liegt darin, daß die Eltern mit dem Auto etwas abseits der Verpflegungsstellen warten, während die Kinder mit einem Siebentausendlirebillett (umgerechnet 7,50 DM) mindestens dreimal um Verpflegung anstehen und die Teller dann zum Auto bringen. Eine geradezu lächerliche Aktion; das aufgewärmte Zeug schmeckt grauenhaft, aber es war eben umsonst.
Ein Volk von Abzockern? Kein Rassismus bitte: „Das System mit dem Doppelabonnement haben unsere Landsleute aus der DDR importiert“, erklärt uns ein Kriminalbeamter, „es ist offenbar nach dem Fall der Berliner Mauer erfunden worden. Die obrigkeitshörigen Realsozialisten haben auch immer brav doppelt bezahlt, wenn ihnen nur jemand mit dem Kadi gedroht hat. Aber bei uns klappt so etwas offensichtlich auch.“
Die Sache mit den Freiessen beim Volkslauf dagegen entstand in Italien selbst. Wie sich dieses Jahr bei einer polizeilichen Blitzaktion herausstellte, wurden dabei allerdings nicht weniger als vierhundert Ausländer erwischt, vorwiegend Schweden, Österreicher und auch Deutsche: Einige hatten mit ihrem Billett bis zu zehnmal angestanden und „den halben Campingplatz mit dem Zeug versorgt – gegen fünftausend Lire pro Pizza“, wie ein Polizeibericht notiert. Werner Raith
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