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■ Nebensachen aus RomOrdnung und Unordnung

Er gehört zu den famosesten Neologismen des Landes, der Begriff eliminacoda: übersetzt heißt das etwa „Abschaffen der Schlange“, wobei Schlange die Wartereihe in Läden bedeutet. Natürlich gibt es derlei in deutschen Arbeitsämtern auch. Doch in Italien hat die zunächst tastende, mittlerweile rasante Einführung des biglietta eliminacoda sofort einen landestypischen Beigeschmack bekommen. Denn sie wurde zum Zankapfel Nummer eins in einem Land, wo man das Vordrängeln als Nationalsport betreibt.

Sachlich gesehen dauert die Abfertigung seit Einführung der eliminacoda wesentlich länger: Beim Eintreten eines neuen Kunden halten sämtliche Angestellten der Metzgerei oder der Bank inne und schauen erstmal, ob der Neue auch brav seinen Zettel zieht. Notfalls wird er im Chor dazu aufgefordert. Danach macht sich der Kunde Gedanken darüber, wie er die Reihenfolge der Wartenden überspringen kann: „Nur damit ich nicht umsonst warte“, ruft der Neueingetretene von hinten, „haben Sie noch frische Brötchen? Ja? Ach, dann geben Sie mir gleich mal zehn Stück, dann hab ich's und halte niemanden auf ...“ Keine Frage, daß ihm/ihr nach den zehn Brötchen noch zweihundert Gramm Schinken, eine Scheibe Käse, hundertfünfzig Gramm Oliven und zwei Kilo Trockenfisch einfallen.

Oder eine andere Version: „Bei mir zu Hause warten acht Leute aufs Frühstück, seien Sie so lieb und nehmen Sie mich vorher dran?“ Oder in der Apotheke: „Ich habe ein krankes Kind zu Hause, Sie müssen mich unbedingt vorlassen ...“

Natürlich entwickeln sich bald Abwehrmechanismen gegen solche KolonenspringerInnen (ohne Machismus: es handelt sich in der Regel um Frauen): „Entschuldigen Sie, aber auch ich brauche nur ein paar Brötchen ... auch bei mir warten alle zu Hause ...“

Deshalb hat der/die versierte ÜberspringerIn auch noch andere Methoden parat. So etwa ein forsches „Hier, ich“, wenn die Nummer 59 aufgerufen wird. Der wirkliche Besitzer der Nummer 59 guckt dann in der Regel verwirrt – und schon ist die/der SpringerIn mitten in der Abfertigung; die dann erfolgende Protestreaktion wird quittiert mit: „Ach, wirklich, Entschuldigung, ich hab' mich wohl verlesen, arrivederci.“

Kommt es zu einer sofortigen Reaktion des richtigen 59ers, geht das Manöver andersherum: „Tatsächlich, wenn ich genau hinschaue, habe ich ja gar nicht die 59, sondern die 73, aber ich könnte schwören, daß Sie nach mir gekommen sind, vielleicht stimmt an dem Apparat was nicht?“ Oder: „Sie haben ja Recht, aber ehrlich gesagt, wenn ich gesehen hätte, daß ich noch so lange warten muß, hätte ich mich gar nicht erst angestellt ...“

Derlei ruft nun beim Ladenbesitzer Ängste hervor, der/die KundIn könne verlorengehen. Also versucht er sich im Vermitteln: „Macht doch nichts, ich fertige jetzt schnell die 59 ab, und dann kommen Sie dran, alle sind zufrieden ...“ – und bevor die Nummern 60 bis 72 merken, was passiert ist, sind beide ruhiggestellt. Werner Raith

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