■ Nebensachen aus Rom: Eine Roßkur für Italiens Reiter
Wenn Ludovico Nava, 59, auf seinen mittlerweile fast zwanzigjährigen Kampf zurückblickt, befällt ihn ein Gefühl zwischen Stolz und Wehmut: mit Freude nimmt er wahr, daß seine Aufbauarbeit „endlich, endlich Früchte trägt“; doch er fragt sich auch, „warum das alles soviel Energie kosten mußte“. Der ehemalige Oberst, zuständig für Ausbildung im italienischen Reitsportverband FISE, hatte sich in den Kopf gesetzt, den vor Jahrzehnten verlorenen Anschluß der italienischen Reiter an das Weltniveau wiederherzustellen. Er wollte anknüpfen an die großen Zeiten der D'Inzeo und Mancinelli, die sich einst legendären Duelle mit Hans Günther Winkler und Fritz Tiedemann geliefert hatten.
Die FISE hatte Nava Mitte der 80er Jahre grünes Licht für eine Reform des veralteten Ausbildungssystems gegeben. Dies geschah nicht nur wegen mangelnder Konkurrenzfähigkeit, sondern auch, weil der Italo-Reitsport nicht zu einem Geschäft wurde, das eine ansehnliche Branche ernährt.
Leicht hatte Nava es wirklich nicht: der Umgang der Italiener mit Pferden ähnelt meist dem mit ihrer „macchina“, dem Auto: Draufsetzen, Gasgeben, und wenn's nicht das Erhoffte bringt, wird's verkauft oder verschrottet, in diesem Falle geschlachtet. Nicht umsonst trägt die wildeste italienische Autorasse, Ferrari, ein sich aufbäumendes Pferd als Markenzeichen, und nicht umsonst heißen Reitbahnen „galoppatoio“.
Unterricht erteilten in der Regel ehemalige Carabinieri, die eher im Schreien als im guten Sitz geübt sind, und auch das Pferdematerial wurde mehr zufällig zusammengekauft. „Eine erfolgreiche italienische Zucht fehlt noch immer“, sagt Nava.
Daher verordnete er seinen Rittern und Amazonen eine Art Roßkur: Bisher sah die „Ausbildung“ der Sattelaspiranten so aus, daß sie in ein „galoppatoio“ marschierten, in Jeans und mit Straßenschuhen, aufs Pferd gesetzt wurden und spätestens nach der dritten Stunde zu springen begannen. Jetzt fordert Nava schon für die zur Teilnahme an Wettbewerben berechtigenden untersten Examen eine Dressurausbildung. Für die bisher wild herumjockelnden Reitersleut' war das eine solche Qual, daß manch einer fortan aufs Wettreiten verzichtete. Für die Jugend führte Nava zur Verbesserung der Körperbeherrschung das vordem völlig unbekannte Voltigieren ein.
Die Erfolge können sich sehen lassen, sportlich wie ökonomisch: Während die alte Gilde noch immer keine Erfolge vermeldet, haben sich die Nachwuchsreiter bereits zur Weltspitze vorgearbeitet. Sie siegen ab und an auch in internationalen Vielseitigkeitswettbewerben, was wiederum viele neue Eleven anzieht. Seither blüht auch das Geschäft rund ums Pferd. Die Zahl der Fachgeschäfte hat sich in zehn Jahren verdoppelt, die Umsätze sind von 500 Millionen auf über eine Milliarde Mark gestiegen. Reiten gilt inzwischen, nach Fußball und Radrennen, als „drittschönste Nebensache der Welt“.
Diese Erfolge waren es wohl auch, die von der FISE ein Desaster abwendeten, das von ganz anderer Seite drohte. Die voriges Jahr ins Amt gekommene Rechtsregierung hatte versucht, die Reitervereinigung – wie auch viele andere Sportverbände – unter ihre Kontrolle zu bringen. Gerüchten zufolge soll es dort schließlich Geld geben. Die FISE-Spitze ging an die Öffentlichkeit, verwies auf ihre Erfolge und saß die Sache aus, bis Berlusconi weg war. Heute versucht keiner mehr, den Verband zu schurigeln. Der Boom kann weitergehen – und Nava weiterarbeiten. Werner Raith
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