■ Nebensachen aus Rom: Unfall-Odyssee
Der Wagen kam, so erinnert sich Dieter Kahler, „fast wie in Zeitlupe auf uns zu“: langsam, aber unaufhaltsam. Trotz Ausweichens bis in den Maschenzaun rechts drückt der andere Wagen die Seitentüren des Opel ein. Tochter Ronja blutet stark an der Stirn, der Opel ist seitwärts aufgeschlitzt. Ansonsten aber, wie es so schön heißt: Mit dem Schrecken davon gekommen, Dieter und seine Frau Andrea sind heil. Der Abschleppwagen des Straßendienstes ACI befördert die Vehikel von der Straße Terracina–San Felice Circeo in das Depot, nachdem die Carabinieri den Unfall aufgenommen haben. Der Unfallverursacher, ein älterer Mann aus Borgo Montenero, gibt zu Protokoll, ihm sei am Steuer plötzlich übel geworden. Hauptsache, das verletzte Mädchen werde schnell wieder gesund. Italien ist ein Land voller Mitgefühl.
Jedenfalls soweit es die menschlichen Beziehungen angeht. Denn nun tritt die Bürokratie auf. Das Depot fragt, wer denn die Stellgebühren zahle, so an die zehn Mark pro Tag. Weiter wären da auch noch die Abschleppkosten, 150 Märker. Kein Problem, wir haben doch einen Schutzbrief. Denken die Kahlers. Schon, nur: der ACI ist nicht mit dem HUK-Coburg-Schutzbrief liiert. Also muß man Vorkasse leisten, auch wenn das Polizeiprotokoll den Italiener als Schuldigen ausweist. Soll der Wagen verschrottet werden, wird er repariert – oder abgeholt?
Dieter Kahler leert am Abend eine Flasche Schnaps – der Urlaub ist beim Teufel. Der Sachverständige ist nicht aufzutreiben. Nach zwei Tagen hat ihn der mit den Kahlers befreundete taz- Italienkorrespondent endlich aufgetan. Er schaue nächste Woche mal vorbei, meint er. Aber da müssen die Kahlers eigentlich schon heimfahren. Na gut, sagt er mürrisch, dann halt morgen. Am nächsten Tag ist er wirklich da, im Büro. Papiere sind zu unterschreiben, es gibt Kopien. Dieter Kahler legt einen Ordner an.
Anrufe beim HUK. Die Dame versichert, daß man eine Lösung finden werde, allerdings erst am Montag, jetzt, Freitag nachmittag, sei niemand mehr da. Am Montag frohe Botschaft: Kahlers können jedenfalls nach Hause fahren. Der HUK übernimmt den Leihwagen. Allerdings – Kahlers müssen Vorkasse leisten. Der Preis, so an die 1.000 Mark, ist in Kahlers Urlaubskasse gerade noch drin. Allerdings: Da der Wagen ins Ausland geht – bis nach Norddeutschland – muß man einen weiteren Tausender Zusatzkosten berappen. Und das übersteigt die Urlaubskasse. Macht nichts, sagt der Verleih: Wir lassen es uns über Ihre Kreditkarte grantieren. Doch die Kahlers haben nur eine Eurocheque-, nicht aber eine Euro- oder Visacard. Dann findet eine rührige Dame doch noch eine Lösung: Kahlers kriegen, ohne Aufpreis, einen Wagen bis Mailand, da müssen sie umpacken in einen anderen, mit dem sie dann bis nach Hause fahren können.
In Deutschland schwillt Kahlers Faszikel schnell weiter an. Über das taz-Büro wird erbeten: Rücksendung der Kennzeichen; amtliche Verschrottungsbestätigung; Bericht der Krankenhauses, Anmahnung des Unfallberichtes. Dann fällt Schweigen über die Sache. Die 10.000 Mark, die der deutsche Anwalt für die Sache erwartet, sind wohl in den Wind zu schreiben. Typisch italienisch, denkt der Leser jetzt.
Kurz vor Weihnachten kam Post. Die Kahlers erhalten insgesamt fast 18.000 Mark: Der nach italienischen Preisen berechnete Verkehrswert ist weit höher als in Deutschland, dazu gibt es ein ansehnliches Schmerzensgeld für Tochter Ronja.
Moral: Es kostet schon viel Nerven, in Italien Schaden zu nehmen. Aber wer den hat, kann am Ende doch wieder einen feinen Chianti entkorken. Werner Raith
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