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■ Nebensachen aus RioElendsfilm, Filmelend

Keiner kümmert sich um die Armen. Kein Mensch. Keiner? Popstar Michael Jackson scheint die stillen Wehklagen der von Armut gezeichneten Erdbewohner vernommen zu haben. Insbesondere die Bewohner des Elendsviertels Dona Marta in Rio de Janeiro sind ihm ans Herz gewachsen. Der Popstar höchstpersönlich wählte die Favela als Szenarium zur Illustration seines neuen Titels „They don't care about us“ aus. Kein geringer als Spike Lee übernimmt bei den Dreharbeiten für den Videoclip in dieser Woche die Regie. So ist es jedenfalls geplant. Doch wer sich um wen kümmert, und wer in Rio Regie führt, darüber streiten sich am Zuckerhut Obrigkeit und Unterwelt, Sambaköniginnen und Meeresgöttinnen, Einwanderer und Eingeborene schon seit Generationen.

„Ein Film über das Elend in Dona Marta nützt den Einwohnern dort überhaupt nichts, nur Michael Jackson wird dadurch noch reicher“, empört sich Rios Tourismusbeauftragter Ronaldo Cezar Coelho. Wenn Jackson den Bewohnern von Dona Marta wirklich helfen wolle, würde er mindestens ein Drittel seiner Einnahmen aus der Produktion für die Favela spenden.

„Warum kommt Michael Jackson ausgerechnet nach Rio, um Bilder der Armut einzufangen?“, fragte sich Rios Gouverneur Marcelo Alencar. Hätte er nicht auch im New Yorker Stadtteil Harlem fündig werden können? Regisseur Spike Lee kenne sich doch dort ungemein gut aus. Tourismusbeauftragter Ronaldo Coelho meint die wahren Motive für Jacksons Favela- Vorliebe zu kennen: „Jackson ist nicht im entferntesten ein Idol der Armen. Ich habe große Zweifel, ob die Leute in Harlem ihn überhaupt filmen lassen würden. Schließlich bekennt er sich noch nicht einmal zu seiner Hautfarbe.“

Die Mehrheit der 12.000 Einwohner der Favela Dona Marta will einfach nur das Beste für sich bei dem Jackson-Besuch herausschlagen. Seit Tagen imitieren Teenager Jacksons Tanzschritte und überlegen, welcher Ort in der Favela wohl am filmträchtigsten ist. Die gemeinschaftlichen Waschtröge? Oder lieber ein paar bräunlich- schwarze Abwasserrinnsale? Oder das Aussichtsdeck unmittelbar unter der Christusstatue auf dem Corcovado, mit dem atemberaubenden Blick auf Zuckerhut und Meeresbucht? „Wir schämen uns nicht, hier zu wohnen“, erklärt der Vorsitzende der Anwohnervereinigung Jose Luis de Oliveira. „Wer sich schämen muß, ist der Tourismusbeauftragte, denn der war noch nie hier und hat nichts für die Favela getan.“

Ob Michael Jackson etwas tun wird? Eines hat er schon vor dem Beginn der Dreharbeiten erreicht: Ganz Rio „kümmert“ sich plötzlich um die Favela Dona Marta. Zumindest verbal. Jeden Tag wird den „Favelados“ in der örtlichen Zeitung Jornal do Brasil eine ganze Seite eingeräumt. Rios Bürgermeister Cesar Maia gibt sich liberal und dankt Jackson für den Werbeeffekt.

Nur Jackson selber bewahrt stoische Ruhe. Stellungnahmen gegenüber der Presse schmettert Pressesprecher Lee Solters sofort ab. Nur soviel ist sicher: Jackson fliegt per Hubschrauber in sein geliebtes Elendsviertel ein. Hoffentlich fegen die vom Propeller entfachten Luftwirbel die Hütten nicht den Hügel herunter. Astrid Prange

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