■ Nebensachen aus Paris: „Electrique, c'est chic“
Wäre es in den vergangenen Wochen nicht so lausig kalt gewesen, ich hätte ich die Werbung an der Place d'Italie glatt übersehen. Das haushohe Plakat forderte dazu auf, mehr mit Strom zu heizen. Das brächte – wie alle guten elektrischen Einrichtungen – den zusätzlichen Vorteil einer monatlichen Abrechnung.
Die Elektrizitätsgesellschaft EDF schickte mir weiteres Material zu. „Electrique, c'est chic“, behaupten die Broschüren, die eine Rundumversorgung mit Heizstrahlern und Wärmeplatten in jedem Zimmer empfehlen. „Electrique“ sei außerdem praktisch, umweltschonend, wartungsfrei und auch noch unabhängig von der „internationalen Konjunktur“. Verblüfft über soviel außenpolitische Argumentation für die korrekte Wohnzimmerwärme, begriff ich erst nach einiger Zeit, daß sich dahinter der französische Atomkomplex verbirgt.
Der fing mit dem Ölschock der siebziger Jahre an. Das rohstoffarme Frankreich beschloß damals, sich mit Atomstrom unabhängig zu machen und hat dieser Tatsache seine heute weltweit größte Atomdichte zu verdanken. Die 55 Atomreaktoren im Land erzeugen soviel Strom, daß die EDF gar nicht weiß, wohin damit – zumal noch vier neue AKWs im Bau sind und der Schnelle Brüter von Creys-Malville auch wieder ans Netz geht. Schon jetzt sind in Frankreich die Elektrotarife niedriger als in Deutschland, und die EDF liefert Strom an die Nachbarländer.
Doch damit ist die EDF nicht zufrieden. Sie will die totale Verstromung – und zwar ganz für sich allein. Ihr Monopol verteidigt sie gegen die Europäische Union, die auch auf dem Energiesektor Konkurrenz einführen will. Und gegen alle, die in Frankreich alternative Energiequellen anzuzapfen versuchen. Kaum experimentiert jemand mit Biomasse oder Sonnenenergie, ist schon der Vertreter der EDF zur Stelle und offeriert günstigere Tarife – notfalls noch unter den marktüblichen Sätzen. Das Industrieministerium hat ein ganzes Dossier über diesen unlauteren Wettbewerb.
In Chambéry in den französischen Alpen war es mit niedrigeren Stromtarifen nicht getan. Eine Bürgerinitiative hatte das Kreuz auf dem Hausberg der Stadt mit Sonnenenergie angestrahlt. Für die EDF ein unerträglicher Affront. Ihre Vertreter belagerten die Gemeinde solange, bis die sich breitschlagen ließ, eine Stromleitung quer durch den Wald bis auf die Bergspitze zu legen, mit der das Kreuz jetzt beleuchtet wird.
Ein anderer vielversprechender Absatzmarkt sind die „künstlerischen Stadtbeleuchtungen“, die gerade in Mode kommen. Der Trick: Die EDF baut auf eigene Kosten die Anlagen – Lyon hat so eine Stadtverschönerung bekommen – und die Gemeinde zahlt den Strom. Ähnlich ist das „Experiment Elektroauto“, das gegenwärtig in mehreren Städten läuft. Die EDF stellt die „schicken, praktischen, umweltschonenden (Fortsetzung siehe oben unter Elektroheizung) Elektroautos“ zur Verfügung und überzieht die Stadt mit einem Netz von Stromzapfstellen – und die FahrerInnen zahlen den Verbrauch.
Wie zwei Drittel aller französischen Neubauten und ein beträchtlicher Teil der sanierten Altbauten ist auch meine Wohnung elektrobeheizt. Pro Zimmer ein Strahler oder eine Rippe. Die sind zwar alles andere als „chic“, aber Alternativen gibt es nicht – zunächst wird mir nichts anderes übrig bleiben, als mich am Atomstrom zu wärmen. Boykotteure sind in Frankreich nicht aktenkundig. Es soll aber ein paar StromheizerInnen geben, die ihre Zähler mit kleinen Magneten manipulieren. Das ist zwar nicht politisch, aber immerhin sinkt dadurch die Stromrechnung. Die allermeisten Franzosen machen es sich aber einfach gemütlich warm – wenn dann die Rechnung kommt und viel zu hoch ist, gibt es immer noch die staatlichen Hilfskommissionen. In den letzten Jahren verwenden die den größten Teil ihres Budgets darauf, den Strom von Bedürftigen zu zahlen. Die EDF kommt auf jeden Fall auf ihre Kosten. Dorothea Hahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen