■ Nebensachen aus Paris: Ökologische Katastrophen
„Du bist hier nicht in Deutschland.“ Der Hinweis meines Beifahrers in der Rue de Rivoli klang genervt. Ich sollte endlich nach rechts abbiegen und nicht länger den Autoverkehr aufhalten, bloß weil sich von hinten ein Radfahrer näherte.
Die Sache liegt nun viele Monate zurück. Aber ich kann mich noch gut an die Verstimmung erinnern, zu der sie zwischen meinem Beifahrer und mir führte – wegen seiner Einmischung und wegen der mangelnden Rücksicht auf Radfahrer. Langfristig jedoch hat der Nörgler, dessen Zweiradtoleranz dem Pariser Durchschnitt entspricht, mein Verkehrsverhalten beeinflußt.
Mein Berliner Tourenrad kam gleich nach dem Umzug in den Keller. Ich wollte nicht zwischen hupenden Autos eingequetscht, geschnitten, aufs Trottoir abgedrängt und dazu noch übel beschimpft werden – so wie die wenigen Mutigen, die angetan mit einer Gesichtsmaske durch die Abgasschwaden radeln. Doch trotz allen Unbills habe ich nie aufgehört, sie zu beneiden. Schließlich ist diese radweglose Stadt wie für das Rad geschaffen: Sie ist relativ klein, hat wenig Hügel und ein angenehmes Klima.
Am letzten Dienstag gab es dann genügend äußeren Druck, um es selbst einmal zu versuchen. In seltener Eintracht hatten alle Gewerkschaften zum Streik im Öffentlichen Dienst aufgerufen – es würde also kaum öffentliche Transportmittel geben. Daß meine Reifen platt sein würden, hatte ich erwartet, daß meine Luftpumpe verschwunden war, schon weniger. Aber so erfuhr ich von meinen Nachbarn, wie viele Fahrradläden es früher gegeben hat – bevor sie zumachten, weil „heute ja nur noch ein paar „verrückte ecolos mit dem Rad unterwegs sind“. Einer dieser Umweltschützer pumpte mir wenig später am Straßenrand meine Reifen auf.
Vorsorglich hatte ich mich in die Signalfarben rot und weiß gehüllt. Doch meine Sorgen entpuppten sich als überflüssig: Da warteten abbiegende Autofahrer, bis ich rechts an ihnen vorbeigezogen war, überholten mich links im großem Bogen und lächelten mir auch noch freundlich zu. Die Pariser waren in bester Laune – der Streik fand ihre Zustimmung, daran konnte nicht einmal der dichte Stau etwas verändern.
Stundenlang wälzten sich die Menschenmassen über die großen Boulevards, auf die ich seit dem Beginn der französischen Atomtests vergeblich gewartet hatte. Angesteckt von der ausgelassenen Stimmung trat ich pfeifend den Heimweg an. Bis wenige Meter vor meiner Wohnung: Da verspürte ich Stiche im Kopf und Atemnot, die mich zwangen, abzusteigen und weiterzuschieben. Ich war fest überzeugt, daß sich eine Grippe ankündigte.
Stunden später gab die Verkehrswacht bekannt, daß Paris an diesem Dienstag, den 10. Oktober, die höchsten Smogwerte seit Beginn der Luftwertmessungen verzeichnete. Die sommerlichen Temperaturen, der antizyklonische Deckel über der Stadt, die fehlenden Winde und der wegen des Streiks erhöhte Autoverkehr waren die Erklärung für die katastrophale Situation, die mit der höchsten Alarmstufe beantwortet wurde: Kinder, Alte und Atemkranke sollten zu Hause bleiben, von Sport im Freien sei abzusehen.
In den Tagen nach dem Streik sanken die Smogwerte wieder auf den üblichen Stand. Und ich hoffe jetzt, daß die Regierung ein Einsehen hat und Verhandlungen mit den Gewerkschaften aufnimmt. Andernfalls kommt es bald zu neuen Streiks, Metroausfällen, Staus – kurz: zu der Versuchung, das Rad zu benutzen. Und zu dem Risiko einer neuen ökologischen Katastrophe. Dorothea Hahn
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