Nebensachen aus Moskau: Schwere neue Regeln im Flug-Business
■ Merke: Wenn der Sohn in 10.000 Metern Höhe auf die Flugzeugsteuerung fällt, stürzt der Airbus ab
Sina freute sich schon. In wenigen Tagen sollte sie die Route Moskau–Hongkong übernehmen, von der ihre Freundin, Stewardess Natascha, immer schwärmte. Am 23. März wollte Natascha zum letzten Mal mit einem Airbus A-310 nach Ostasien fliegen. Die Hongkong-Tour war beim Personal der russischen Aeroflot heiß begehrt. Der Flug war nicht ausgebucht, und so lud die Fluggesellschaft ihre Mitarbeiter ein. Dreißig Angestellte – darunter acht Piloten – nahmen das Angebot wahr. Es war Nataschas letzter Einsatz. Vier Stunden hinter Moskau stürzte die Maschine in den verschneiten Bergen des Altai ab. Keiner überlebte.
Zunächst konnte sich das niemand erklären. Ein technischer Defekt galt als unwahrscheinlich. Von Sabotage durch die Konkurrenz war die Rede – durchaus denkbar dort, wo mit allen Mitteln um Marktanteile gekämpft wird. Warum sollten Mafiagangs nicht auch hier ihre Hände im Spiel haben? Die black boxes – die Flugschreiber – konnten sichergestellt werden. Zur Dechiffrierung mußten sie nach Paris geschickt werden, weil der Aeroflot die technischen Voraussetzungen dafür fehlen. Tag für Tag kommen nun Einzelheiten ans Licht.
Je trivialer die Ursachen sind, desto unfaßbarer wird das Ganze. Im Cockpit herrschte wohl Urlaubsstimmung: Die Maschine war in 33.000 Fuß Flughöhe auf „Autopilot“ gestellt, und, wie sich den Aufzeichnungen entnehmen läßt, saß keiner der Piloten auf seinem Platz. Der 15jährige Sohn des Kapitäns Jaroslaw Kudrinsky spielte unterdessen am Amaturenbrett herum. Dabei soll er den „Autopiloten“ ausgeschaltet haben. Selbst bei diesem Befehl behält der Airbus seine letzte Fluglage. Korrekturen werden erst fällig, wenn die Steuervorrichtung manuell bedient wird.
Man kann es sich lebhaft vorstellen: Hinten im Cockpit schwatzen und schäkern Stewardessen und Piloten mit ihren Kollegen. Passieren kann ja nichts – der „Autopilot“ ist eingeschaltet. Das Vertrauen in die Technik ist in diesen Breiten ungebrochen. Veränderung trat ein, als der Junge aus irgendeinem Grund auf das Steuer fiel. Sofort nahm die Maschine steilen Kurs nach unten. Der Sohn lag auf dem Steuer, und wegen der Schwerkraft und des riesigen Druckabfalls konnte möglicherweise niemand an ihn herankommen. Die Passagiere schafften es noch, sich anzuschnallen.
Mit Hinweisen, man werde nun die Sicherheitsbestimmungen verschärfen, ist nichts getan. Diese lassen sich beliebig groß aufblähen – ob sie eingehalten werden, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Als Anfang des Jahres in Irkutsk eine Tupolew abstürzte, hatte man einfach vergessen, die Crew über die nach einer Montage veränderten Funktionen in Kenntnis zu setzen. Fahrlässigkeit als Kommunikationsproblem: Elementare Sicherheitsvorkehrungen werden oft außer acht gelassen, während man in Nebensächlichkeiten eine absurde Konsequenz zeigt; so beispielsweise überwachen die Stewardessen unbarmherzig das Rauchverbot. Regeln werden als etwas Äußerliches empfunden. Anscheinend werden russische Piloten in psychologischen Tests nicht auf ihr Verantwortungsbewußtsein geprüft. Wissen und Fertigkeiten genügen. Ein Infantilismus, der auf dem Gebiet der alten UdSSR immer wieder Katastrophen verursacht. Klaus-Helge Donath
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