■ Nebensachen aus Moskau: Mit Wodka zu Gott
Auf diesen Säulen ruhte, ruht und wird Rußland ewig ruhen“, verkündet ein Werbeplakat. Drei Flaschen Wodka wackeln auf dem Panzer einer schwimmenden Meeresschildkröte, darüber breitet sich die russische Erde aus, symbolisiert durch ein Knäuel hominum alcoholicorum in verschiedenen Stadien der Trunkenheit. Die Petersburger Intelligenz nahm Anstoß und rief ein Gericht an. Nicht, um gegen die ausufernde Alkoholwerbung zu protestieren. Vielmehr empfand sie die Reklame als rassistisch und antirussisch. Die Richter wiesen die Klage ab, mit dem Verweis auf noch eindeutigere Aussagen – „Smirnoff – der russische Charakter“ oder „Still ihn!“.
Das „Wässerchen“ – Wodka – hält in Russland Gemüter und Kreislauf am Kochen. Mal sind es illegale Importe und erhöhte Steuern. Ein andermal Panschereien mit Todesfolge. Nur eines wird nie erwähnt: die katastrophalen Folgen der von der Gesellschaft geheiligten Trinkgewohnheiten.
Ein Betrunkener ist in Rußland eine heilige Person. In einer Gesellschaft, die nur rudimentäre Formen der gegenseitigen Achtung entwickelt hat, erstaunt das zunächst, aber erklärt auch einiges: „Der Betrunkene im Nebel schaut Gott“, weiß ein russisches Sprichwort. Ihm muß man Hilfe angedeihen lassen, während Kranke und Schwache kaum ein Minimum an Zuwendung erhoffen dürfen.
Torkelt der Ehemann nachts nach Hause, wartet auf ihn selten eine zürnende Ehefrau. Im Gegenteil, er wird sanft gebettet und umhegt. Ein echter muschik schluckt, bis er umkippt. Frauen, die unter dem Alkoholismus ihrer Partner schwer zu leiden haben, halten dieses Image absurderweise noch aufrecht. Selten mahnt die Gattin zum Maßhalten. Anscheinend verbietet das der Trinkritus, der den Vierzigprozentigen zu einer rituellen Droge erhebt. Und da jeder Ritus immer einen Bezug zum Jenseitigen aufweist, kann er keinen Schaden anrichten.
„Bei uns trinkt man nicht aus Geselligkeit, zur Entspannung und in Massen“, meinte kürzlich ein Soziologe. Man trinke aus Langeweile, wenn man nichts zu tun habe, indes mühelos etwas tun könnte. Oder weil man nichts tue, da man glaube, packe man es an, wäre es ohnehin umsonst. Das Trinken simuliert die Erfahrung einer Grenzsituation. Das Ziel steht fest: gemeinsam in die Besinnungslosigkeit.
Natürlich greift man zum Glas, um miteinander zu reden. Doch der Dialog in Rußland ist noch nicht die gängige Form der Kommunikation. So endet der Wodkadiskurs stets im Monolog mit einer strengen Liturgie: Der letzte Wankende wendet sich lallend an den weggesackten Zechkumpan: „Achtest du mich überhaupt?“ Danach tritt auch seine Seele aus dem Körper und bewegt sich in Freiheit. Klaus-Helge Donath
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