■ Nebensachen aus Mexiko-Stadt: Abgehört: Die O-Töne der Macht
Nebensächlich erscheint den MexikanerInnen die Angelegenheit nun gerade nicht. Dieser Tage haben sie es mit einem handfesten Abhörskandal zu tun. Wobei nicht ganz klar ist, was denn nun eigentlich der Skandal ist: die Lauschoffensive an sich oder die Veröffentlichung der teilweise recht anzüglichen Plauschereien zwischen dem ehemals zweitmächtigsten Mann im Staate – José Córdoba, dem Chefberater von Ex-Präsident Salinas – und seiner geheimen Liebsten, der narco-verdächtigen Ex-Agentin Marcela Bodenstedt? Die Inhalte der O-Töne der Macht oder die Tatsache, daß nicht einmal der Señor Presidente von der „Telefonspionage“ verschont blieb?
Dabei müssen es nicht immer die ausgefeiltesten Techniken sein, mit denen Geheimdienste, Privatunternehmen und Ministerien auch in Mexiko den BürgerInnen beim Telefonieren zuhören. Wie der Generalsekretär der Telefonistengewerkschaft berichtet, entfernen Arbeiter immer mal wieder Kassettenrekorder von den unter freiem Himmel kreuz und quer verlegten Telefonkabeln. An die 200.000 Leitungen könnten es nach Schätzungen des Gewerkschafters sein, die – auf mehr oder weniger improvisierte Weise – regelmäßig abgehört werden. Ausgerechnet das Forschungszentrum für Nationale Sicherheit, das von Salinas erst vor ein paar Jahren gegründet und seinem Freund Córdoba übertragen wurde, belauschte eine Zeitlang seinen eigenen Chef. Denn dieser ging ein und aus im Gemach der Bodenstedt, die ihrerseits von den mexikanischen Behörden und selbst von der US-amerikanischen DEA rund um die Uhr überwacht wurde. Der Politologe Castañeda hält es für unwahrscheinlich, daß der Chefberater nichtsahnend in die eigene Falle gestolpert sei. Vermutlich habe Córdoba sich aus Gründen der „Staatsräson“ mit ihr zusammengetan – schließlich brauche die Regierung eine Vermittlerin im Dialog mit den immer mächtiger werdenden Drogenkartellen im Lande.
Freilich bleibt auch diese pikante Hypothese, wie so vieles im Land der Anspielungen und ungelösten Rätsel, pure Spekulation. Denn die Telefonprotokolle, die den Zeitungen selbstredend anonym zugespielt wurden, sind zwar durchaus aufschlußreich aber nicht unbedingt legal verfänglich: Der Ex-Präsident spricht über Börsenturbulenzen („das kann man nicht öffentlich austragen, das verstehen die Leute nicht“) oder anstehende Landtagswahlen („da müssen wir jetzt den entscheidenden Schlag landen“).
Der mexikanische Lauschangriff hat auch seine positiven Seiten: Abseits vom öffentlichen Diskurs der Macht verlieren deren Inhaber die Aura der Unnahbarkeit, werden menschlich – und trivial. Mit einiger Genugtuung konnte der mexikanische Untertan so die Dialoge zwischen Marcela und José, der offensichtlich gerade eine Augenoperation hinter sich hat, verfolgen: „Mein Liebster, wie ist es dir ergangen? (...) Haben sie dir den Verband entfernt?“ – „Ja, aber ich muß eine Augenklappe tragen.“ – „Mein Pirat! Daß Du Dich ja nicht in der Frau irrst.“
Interessant wäre es, nicht nur über die Inhalte, sondern auch über die Qualität der Aufzeichnungen etwas zu erfahren. Bei der taz-Korrespondentin beispielsweise hätten etwaige Lauscher wenig Freude: Die wenigen Male, bei denen die gewünschte Verbindung überhaupt zustande kommt, schaltet sich oft noch eine dritte oder gar vierte Stimme ins Gespräch. Diese unfreiwilligen Konferenzschaltungen führen oft zu erheblichen Kommunikationsstörungen. Auch kann es vorkommen, daß einem anstelle des telefonischen Gegenübers eine freundliche Radiostimme die Vorzüge dieses Waschmittels oder jenes Sprachkurses anpreist. Am schönsten aber ist, wenn tiefschürfende Unterhaltungen mit fröhlicher Mariachi-Musik untermalt werden – auch eine Art von Sabotage. Anne Huffschmid
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