■ Nebensachen aus Mexiko-Stadt: Telefoooooooooooooooooon!
Vier mal vier Meter mißt der Schacht, der in meinem Wohnhaus als Hinterhof dient, und er ist ein hervorragender Resonanzboden. „Groooooooßmutter!!“ oder auch „Telefoooon!!“ schallt es Tag und Nacht, ganz so, als ob die Rufer leibhaftig neben einem im Bette weilten. Die Schreibtischarbeit wird immer wieder unterbrochen von dröhnenden Salsa-Einlagen und einer regen interfamiliären Kommunikation, bei der die Anzahl der Beteiligten jedoch auch nach einem Jahr eifrigen Zuhörens nicht herauszubekommen ist.
Die Mitglieder der engeren Hauswartsfamilie, die nebenbei selbstgepreßten Orangensaft verkaufen, lassen sich gerade noch an einer Hand abzählen. Schier unerschöpflich aber scheint der Vorrat an entfernteren Verwandten, die von listigen Hauswirtinnen im Laufe der Jahre auf dem Dachboden zwischen Wäscheleinen und Gasflaschen untergebracht worden sind.
Kann man kreischende Kinder und deren Familienangehörige ja noch gelegentlich zur Ruhe mahnen, sind die Überredungskünste in der Tierwelt bekanntlich zum Scheitern verurteilt. Da wäre der kläffende Köter, der etwaige Einbrecher schon mal vorbeugend zu nächtlicher Stunde verbellt. Oder der Papagei, dessen „Maammaa!!“ und „Buenoooos Dias!!“ nur um wenige Tonlagen über dem seiner Besitzer liegt; Aufrufe zum Schnabelhalten animieren ihn leider zu noch höheren stimmlichen Leistungen. Als Untermalung dient der Baß der Wasserpumpe, deren Mischung aus Plätschern und Brummen wenigstens das Vorhandensein des kostbaren Nasses anzeigt — hier ist die gelegentlich auftretende Stille eher beunruhigend.
Eigentlich ist dieses Haus, wie neidische Bekannte immer wieder versichern, eine idyllische Insel, denn das Automeer ist fern, wenn auch die allgegenwärtigen Alarmanlagen vorzugsweise piepen, während die Fahrer sich im Kino oder Nachtklub um die Ecke vergnügen — und höchstens ein paar Stunden später vorbeischauen, um ihr Vehikel zu beruhigen.
Bei den seltenen Ausflügen ins Herz der Stadtlöwin, z.B. zu einem klassischen Konzert im Zentrum, gehört das durch die kolonialen Gemäuer dringende Dauerhupen schon zur hinzunehmenden höheren Gewalt. Anne Huffschmid
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