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■ Nebensachen aus MadridHilfe! Wo ist der Sherpa?

Als Forges, der Zeichner der Tageszeitung El Pais, seine Karikatur zu den Straßenbauarbeiten in meinem Stadtteil veröffentlichte, brachte er auch mich zum Schmunzeln. Ein Mann mit Zipfelmütze, Rucksack, Pickel und Seil tritt von hinten an eine verwirrte ältere Dame heran, die vor einer immensen Baugrube steht und nicht weiterweiß: „Ich bin der offizielle Sherpa des Rathauses. Kann ich Ihnen beim Überqueren der Straße behilflich sein?“ fragt der freundliche Alpinist. Eine Woche später verging mir das Lachen: Meine Freundin stand mir völlig verschrammt gegenüber. Sie war auf dem abendlichen Nachhauseweg in ein Loch gestürzt, das auf dem Gehweg klaffte. Ohne Absperrung, ohne Warntafel und unbeleuchtet.

Die Bauwut des Bürgermeisters von Madrid, José Maria Álvarez de Manzano, kennt keine Grenzen, seit der Geldsegen aus den Töpfen der Europäischen Union zur „Verbesserung der städtischen Umwelt“ die Stadtkasse merklich gefüllt hat. Plötzlich entdeckte der konservative Stadtvater das Schmuddelkind der Stadt, das historische Zentrum. Der Asphalt wird aufgerissen und Kopfsteinpflaster verlegt. Während für die Pkws Notspuren eingerichtet werden, finden sich die Fußgänger immer wieder unverhofft vor einem Bauzaun oder einer Grube. Fußgängerüberwege oder gar Ampeln sind längst den Bauarbeiten zum Opfer gefallen.

Dank des Zuschusses aus Brüssel kann sich Álvarez de Manzano mit dem eigentlichen Bauhaushalt der Stadtregierung seiner Lieblingsbeschäftigung widmen: den Verkehr flüssiger machen. Und wie erreicht man das? Mit Tunneln unter den großen Kreuzungen der Stadt. Und statt wie in vielen Städten über ein Park-&-Ride-System nachzudenken, wird in Madrid ein innerstädtisches Parkhaus nach dem anderen gebaut. Stoßen die Bautrupps dabei auf historische Reste der alten Stadtmauer, wie jüngst gegenüber dem Königspalast, wird trotz Protesten der Opposition einfach weitergebaut. Die Geschichte darf schließlich dem neuen, mobilen Zeitalter nicht im Wege stehen. Und wo die Stadtkasse kein Geld für neue Tiefgaragen hat, wird der Untergrund kurzerhand privatisiert, obwohl der Platz oben weiterhin kommunales Gelände ist. Die privaten Investoren bedanken sich mit horrenden Parkgebühren.

Die Devise des Bürgermeisters lautet: Den Verkehrsfluß störende Elemente müssen beseitigt werden. So soll ein eigens geschaffener Bußgeldkatalog, die lästigen Fußgänger endlich auf das für sie vorgesehene Terrain verweisen: die Gehwege. Daß die auch ohne Baugruben viel zu eng sind, um zwei Menschen nebeneinander, geschweige denn einen Kinderwagen, aufzunehmen, stört die Kommunalpolitiker nicht. 40 Mark sollen künftig Fußgänger berappen, die — egal aus welchem Grund — auf der Straße gehen oder diese außerhalb der dafür vorgesehenen Übergänge überqueren.

Das Benutzen von Rollschuhen und Skateboards ist auf den Gehsteigen künftig ebenso verboten wie das Fahrradfahren. Und Radwege? — „Brauchen wir in Madrid nicht“, erklärte Bürgermeister Álvarez de Manzano auf dem Städtetag, denn in der hügeligen Stadt gebe es keine Fahrradkultur.

Ach ja, vor wenigen Tagen wurde die Stadt Madrid erstmals verurteilt, ein Opfer einer schlecht gesicherten Baustelle zu entschädigen. Keinem Fußgänger, sondern einem jungen Autofahrer sprachen die Richter 14.000 Mark zu. Grund zur Freude? Nein. Er muß die Kosten des Verfahrens vor dem Madrider Amtsgericht selbst bezahlen. Macht 15.000 Mark. Reiner Wandler

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