piwik no script img

Nebensachen aus KairoDie „müde“ Seite des Warenerwerbs

■  Verkaufspersonal ist im „Omar Effendi“ reichlich vorhanden. Nur ist es selten für das zuständig, was der Kunde gerade wünscht

Jeder Ägyptenbesucher kennt sie: die Bazarhändler, die jedem Kunden praktisch zu Füssen liegen. „Hallo Mister, Monsieur, Señor ... kommen Sie hierher, riechen Sie, schmecken Sie, probieren Sie – kaufen Sie. Ich bin Mister Billig.“

In welcher Sprache sie ihr Opfer ansprechen, erkennen erfahrene Bazaris meist schon am Schuhwerk der schlendernden Kunden. „Die Deutschen erkenne ich immer an ihren hässlichen, bequemen Schuhen und außerdem sind sie das einzige Volk der Welt, das Socken in Sandalen trägt,“ verriet mir einmal einer der Bazarschlepper im Vertrauen. Schnell sind sich beide Seiten nach ein bisschen Feilschen handelseinig. Am Ende ist der Kunde ist zufrieden, weil er meint ein Schnäppchen geschlagen zu haben, und der Bazari freut sich, weil er weiß, den anderen übers Ohr gehauen zu haben. Alle sind glücklich – arabische Einkaufskultur pur. Das ist aber beileibe nicht alles, was Kairos Shoppingszene zu bieten hat. Da gibt es noch die wahre Seite des Warenerwerbs, jene gigantischen staatlichen Kaufhäuser in der modernen Innenstadt. Ihre wohlklingenden Namen wie Omar Effendi, Cicurel oder Sednawy stammen noch aus den 20er Jahren, als hier die Kairoer Oberschicht an den mit der neusten Mode aus Europa bestückten Kleiderständern entlang flanierte. Damals konnten die Grand Magazins durchaus mit den Einkaufsparadiesen von London, New York oder Paris konkurrieren.

Damit war es aber nach der Revolution der freien Offiziere vorbei. Nach dem Sueskanal und den Banken sollten 1961 auch die Kaufhäuser verstaatlicht werden. Von da an ging es steil bergab. Heute haben die Haute-Couture-Establishments von einst den Charme verstaubter sozialistischer Warenmagazine, die sich zu einer Art Via Dolerosa, einem „Weg der Schmerzen“, für die Kundschaft verwandelt haben. Wer hier einkauft, muss starke Nerven haben, festen Willens sein, genau wissen, was er sucht und eine gehörige Portion Geduld mitbringen.

Jene Kaufhäuser sind der Inbegriff dessen, was Ägypter normalerweise als „taaban“ als „müde“ bezeichnen. Nicht dass etwa wie in deutschen Kaufhäusern nach mehreren Einsparungswellen praktisch kein Verkaufspersonal mehr aufzutreiben ist. Das ist in Omar Effendi im Überfluss vorhanden. Trinkt Tee, bohrt in der Nase und zeigt sich ansonsten gegenüber jeglicher Störung durch fragende Kunden immun. Für Bettbezüge sei hier niemand zuständig, aber der Kollege müsste demnächst kommen, lautet die Information einer Gruppe Verkäufer, die es sich in der Bettenabteilung gemütlich gemacht hat.

Immerhin machen sich in der Ecke tatsächlich zwei Männer eifrig an einem Regal zu schaffen. Ihre mit frischer Farbe befleckten Overalls zeichnen sie sofort als der Malerzunft zugehörig aus. Ohne mit der Wimper zu zucken, streichen sie das Regal und mit ihm gleich auch die darauf liegenden Waren an. Das sei schließlich egal, da die Bettbezüge ohnehin in Plastikfolie verpackt sein, lautet ihr verblüffendes Argument. Zugegebenermaßen, eine gewisse Logik hat es schon, die Waren gleich mit anzustreichen. Auf diese Weise erkennt der Kunde wenigstens schon die zwei anderen Regale, an denen die beiden zuvor am Werk waren, ohne später Warnschilder vor der frischen Farbe zu hinterlassen. Ein bisschen Lackfarbe, denken sie, hat noch keinem Kunden geschadet. Der Chef habe gesagt, das solle erledigt werden und nach vier hätten sie Feierabend. Also könne man den Auftrag nur während der Öffnungszeiten erledigen. Auf die Idee, ihre Zeit damit zu verschwenden, wenigsten die Waren zuvor aus dem Regal zu nehmen, wären die beiden nie gekommen. Auch das halbe Dutzend der sonst herumlungernden Verkäufer scheint das Ganze nicht weiter zu stören.

Immerhin helfen die beiden Maler am Ende bei der Suche nach der richtigen Größe des gewünschten Bettbezugs (der eigentliche Verkäufer war immer noch nicht aufzutreiben). Dann gilt es noch die „Herausforderung Kasse“ zu überwinden. Die Kassiererin ist zwar diesmal da, wenngleich sie sich äußerst gelangweilt über ihre Registrierkasse lehnt. Sie hat nichts zu tun, denn die potentiell bezahlende Kundschaft muss auf den Einpacker warten. Der hat sich angeblich zum Gebet verflüchtigt.

Das wurde anscheinend nicht erhört, denn übel gelaunt kommt er schließlich nach einer Viertelstunde um die Ecke. Mein Bezug wird lieblos eingepackt (die Farbe an der Plastikfolie ist inzwischen getrocknet). Nachdem ich etwas mehr abgedrückt habe, als ich in einem der privat geführten Laden bezahlt hätte, ziehe ich schließlich mit meinem schwer erstandenen Beutestück von dannen. „Vorsicht frische Farbe“, witzeln die beiden Maler und winken zum Abschied. Sie sind glücklich, dass ich das richtige gefunden habe und machen sich nun frohgemut über das nächste Regal her. Karim El-Gawhary

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen