■ Nebensachen aus Jerusalem: Vom koscheren Kondom und arglistigem Erhalt fremden Samens
Man(n) bekommt sie in Supermärkten und in Apotheken und auch dort nicht immer. Wer am Wochenende ohne dasteht, sollte Enthaltsamkeit üben, denn von Automaten, die das begehrte Gummi rund um die Uhr anbieten, können die meisten Bewohner des Heiligen Landes nur träumen. Kein Kondomat auf Busbahnhöfen; noch nicht einmal die Toiletten der einschlägigen Szenekneipen sind auf eine Nachfrage für das Gummi eingerichtet. Zwei Abgeordnete des linken Parteienbündnisses Meretz versuchten einst fast mit Gewalt das Bewusstsein der Volksvertreter für die Aids-Gefahr wachzurütteln: Sie ließen kurzerhand einen Kondomaten in der Knesset aufstellen. Er stand dort ganze 48 Stunden, bis ihn die Religiösen im ehrwürdigen Haus der Parlamentarier wieder abräumen ließen, natürlich ohne selbst Hand anzulegen.
Dabei würde die regelmäßige Anwendung des nicht nur vor Ansteckung schützenden Streitobjekts komplette Knesset-Debatten unnötig machen und damit den Parlamentariern kostbare Zeit für wichtigere Angelegenheiten schaffen. Zum Beispiel die Debatte über den alle paar Monate wieder auf der Tagesordnung erscheinenden Gesetzentwurf, der den „arglistigen Erhalt fremden Samens“ zur Grundlage für Zivilklagen machen soll. Ausgangspunkt für einen solchen Prozess ist der natürlich männliche Verdacht, dass die Frau lügnerisch behauptet, Verhütungsmittel zu benutzen, um sich so gezielt des Samens ihres ahnungslosen Partners zu bemächtigen. Hinter dem Gesetzentwurf steht die Bewegung der „Väter gegen den eigenen Willen“, und sie behauptet, dass „tausende Frauen ihren Lebensunterhalt durch den systematischen Diebstahl von Samen verdienen“. Damit sind nun keineswegs Vertreterinnen des ältesten Gewerbes der Welt gemeint, sondern haltlose Jugendliche und sogar biedere Hausfrauen. Der Gesetzentwurf könnte, so sagen die betrogenen Väter, eine ganze Palette von Problemen lösen. Sie sprechen von „Inzest“ und gar von „Mord“. Hätten die „Väter gegen den eigenen Willen“ nur zur rechten Zeit das rechte Schutzmittel zur Hand gehabt, müssten sie heute nicht versuchen, andere für den Mangel ihrer Selbstdisziplin bezahlen zu lassen.
Wenn dem gestandenen Mann der Verzicht auf das möglicherweise über Sein oder Nicht-Sein entscheidende Handelsprodukt ganz allein zum Vorwurf gemacht werden kann, so muss dem Nachwuchs Hilfestellung geleistet werden. Das passiert von Zeit zu Zeit, meist wenn die letzten Zahlen der Aids-Opfer in den Medien erscheinen. Dann ist plötzlich Geld da, und die Kommunen lassen Plakate drucken, die die zarten Gefühle der Frommen im Land berücksichtigen. Sogar das Fernsehen bringt dann nach 20 Uhr kurze Spots, die die Nutzung der Gummis empfehlen.
Von einer umfassenden Aufklärung ist in Israel indes keine Spur. Bisweilen werden die Werbekampagnen der Kondomhersteller gar boykottiert. So wurden im vergangenen Frühjahr 20.000 Ausgaben des Militärmagazins BeMachane („Im Camp“) vernichtet, weil es ein bebildertes Inserat für die Gummis enthielt. Dabei gehört gerade die 18- bis 21-jährige Zielgruppe von BeMachane zu denen, die ganz besonders gefährdet sind. Die durch die Vernichtung des Magazins vergeudeten tausenden von Mark schienen dem verantwortlichen Redakteur Leutnant Rami Kedar gerechtfertigt, angesichts des Fotos, auf dem sich zwei von der Seite aufgenommene junge Leute in den Armen halten. Dies sei für ein Militärmagazin „unpassend“, begründete der Leutnant.
Ungeachtet des vielfach prüden Umgangs mit Kondomen im Heiligen Land sorgten Veröffentlichungen aus Afrika über möglicherweise defekte Gummis zumindest vorübergehend für breite Aufregung unter den Israelis. Im Auftrag des „Israel Standard Institut“ wurden die Produkte von neun verschiedenen Kondomherstellern geprüft. Getestet wurden die akkurate Verpackung, die Dichte und Dicke des Produkts, Elastizität und Durchlässigkeit. Aufatmen nach dem Ergebnis: Die neun meistverkauften Kondome sind sicher und effektiv. Einzig das Verfallsdatum steht auf manchen Packungen in „zu kleinen Buchstaben“, resümierte das „Israel Standard Institut“. Susanne Knaul
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