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Nebensachen aus DelhiDas Schweigen der Lämmer

■ Schlachthöfe als Hort der indischen Debatte um die multikulturelle Gesellschaft

Eine gerichtliche Entscheidung zeitigt in der indischen Hauptstadt Delhi unvorhergesehene Folgen: Versuche, die Metzger zum Vegetarismus zu bekehren, die für vegetarische Hindus beklemmende Frage, ob sie blutbeschmutztes Wasser trinken dürfen und die Gefährdung von Flugzeugen durch Aasgeier. „Luftsicherheitsteams“ schwärmen seit einigen Tagen vom Flughafen Neu-Delhi in alle Himmelsrichtungen aus, um jene Lokalitäten festzustellen, wo Leute illegal Tiere schlachten. Deren ungenießbare Überreste ziehen nämlich Tausende von Vögeln – Bussarde, Krähen und Aasgeier – an, welche wiederum die Sicherheit der Stahlvögel beim An- oder Abflug behindern.

Mit ihrer traditionell offenherzigen Entsorgung organischer Abfälle füttern die Inder Millionen von Vögeln, und immer wieder kommt es dabei zu Zusammenstößen mit Flugzeugen, bei denen oft nicht nur die Tiere Federn lassen müssen. Die unwillkommenen Flugbewegungen haben noch zugenommen, nachdem das Obergericht vor drei Wochen die Schließung des einzigen Schlachthofs der Stadt verordnete. In Hinterhöfen, bei abgelegenen Wasserstellen und auf dem freien Feld außerhalb der Stadt setzen nun Hunderte von Schlächtern den Tieren das Messer an die Kehle, um den hungrigen Fleischmarkt der Zehnmillionenstadt zu versorgen – für die Vögel ein gefundenes Fressen.

Das Schlachthaus in der Nähe der Großen Moschee in Delhi ist eine apokalyptische Ausgeburt, in der statt der erlaubten 2.500 Schafe, Ziegen und Büffel bis zu 15.000 Tiere täglich hingemetzelt werden – in einem See von Kot, Blut und Gedärmen, welche auch einen Nicht-Hindu zum Vegetarier bekehren könnten. Der Bericht einer Untersuchungskommission der Regierung hatte letztes Jahr auf diese Mißstände hingewiesen. Die Bewohner der Stadt konnten darin lesen, daß die Kommission bei einem unangekündigten Besuch des Schlachthofs einen einzigen Tierarzt vorfand statt der vorgeschriebenen dreißig, und daß der Blutstrom sich praktisch unbehandelt in den Jamuna-Fluß ergießt, aus dem die Stadt ihr Trinkwasser schöpft.

Wie so oft schien all dies an der Lethargie der Stadtverwaltung abzuprallen – bis Menaka Gandhi sich des Skandals annahm. Die Schwiegertochter der 1984 ermordeten Premierministerin Indira Gandhi und ehemalige Umweltministerin ist bekannt für ihre Tierliebe. Unter dem Namen ihres verstorbenen Mannes Sanjay richtete sie drei „Altersheime“ ein, in denen die Senioren unter den vielen herrenlosen Kühen der Hauptstadt einem würdigen Tod entgegensehen können. Frau Gandhi verklagte die Stadt wegen Tierquälerei, das Gericht folgte ihr und ließ den Schlachthof versiegeln.

Doch wäre Indien nicht Indien, wenn die Affäre nicht doch zu einem Politikum geworden wäre. Delhis Regionalregierung nahm nämlich die Gelegenheit wahr, um kurzerhand eine Auslagerung des Schlachthofs zu fordern. Im neugeschaffenen Parlament der Bundesstadt hat die fundamentalistisch-hinduistische Partei BJP das Sagen, der das Schlachten von Tieren ohnehin zuwider ist. Die 2.000 Metzger reagierten darauf jedoch mit einem unbefristeten Streik, da sie hinter dem Plan die Absicht sahen, ihren – muslimischen – Berufsstand aus der Stadt zu entfernen. Darauf schalteten sich die Jains ein, eine reiche Hindu-Religionsgemeinschaft, die ein noch ausschließlicheres Fleischverbot kennt und im Volksmund Eggetarians heißt – sie darf nicht einmal Eier essen. Die Jains anerboten sich, die Metzger gratis umzusiedeln und einem neuen Beruf – und zweifellos ihrem Seelenheil – zuzuführen; dies wiederum war für einige islamische Mullahs nicht ganz koscher, und sie warnten die Streikenden vor einem Bekehrungskomplott.

Inzwischen sind auf dem Markt nur noch Hühnchen aufzutreiben. Doch schon hat Menaka Gandhi entdeckt, daß die hühnchenschlachtenden „Chicken Killers“ die Paragraphen 268, 269, 270, 277, 278, 284 und 290 des indischen Strafgesetzbuches verletzen... Bernard Imhasly

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