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„Nebel ist ein schönes Bild für das Dazwischen“

Die Künstlerin Anne Steinhagen erzählt in ihren Arbeiten von der Assoziationskraft gepresster Pflanzen, von der Faszination wissenschaftlich anmutender Labore. Nun hat sie dafür den Gottfried-Brockmann-Preis des Landes Schleswig-Holstein bekommen

Macht Kunst zwischen Wissenschaft und Experiment – auf ihre ganz spezielle Art: Anne Steinhagen Foto: Frank Keil

Von Frank Keil

Sie hat zielstrebig darauf zugearbeitet. Hat viel getan, probiert, erprobt und gemacht. Schließlich wird der Gottfried-Brockmann-Preis des Landes Schleswig-Holstein, der alle zwei Jahre ausgeschrieben wird und der mit 5.000 Euro dotiert ist, nur an Künstler und Künstlerinnen bis zu deren vollendetem 35. Lebensjahr vergeben. 2015 war Anne Steinhagen – Jahrgang 1983 – bereits nominiert. Doch in diesem Jahr hat es geklappt. „In den letzten zwei, drei Jahren nach meinem Studium ist schon einiges passiert, aber dieser Preis hebt mich noch einmal hoch, ohne dass er mich auf ein Treppchen stellt“, sagt sie. „Kunst machen hat ja viel mit Ausdauer zu tun und dass immer mal wieder jemand sagt: ‚Mach weiter!‘“, sagt sie. Aktuell kann sie auch auf das zweijährige Atelier-Stipendium im Kunstverein Anscharpark in Kiel-Wik zurückgreifen, wobei das erste Jahr rum ist.

Steinhagen führt ins Foyer der Kieler Stadtgalerie, wo derzeit die Arbeiten aller der für den Brockmann-Preis Nominierten ausgestellt sind. „Meine Arbeit im Foyer hilft vielleicht, etwas besser in meine Arbeitsweise hineinzukommen“, sagt sie und zeigt auf eine Wand voller beiger, manchmal leicht gewellter Blätter, in einfachen Glasrahmen gehalten. Sie sind dezent beleuchtet, man spiegelt sich leicht in ihnen und schaut auf gepresste Pflanzen und auf die Abdrücke und somit die Spuren, die das Pressen hinterlassen hat. „Rulus fruticosus, Echte Brombeere, Gebüsch, Neugraben, 14.6.72“ ist auf einem kleinen Etikett zu lesen. Auf einem anderen: „Crafaegus monogyma, Eingriffeliger Weißdorn, Knick, Neu-Schönningstedt, 28.5.72“. Getippt mit Schreibmaschine.

Die Arbeit beruht auf dem Herbarium ihrer Mutter, die diese einst im Rahmen ihres Pharmaziestudiums angelegt hat und in dem sie sich den Heilpflanzen der Region widmete. 260 Pflanzen sind damals zusammengekommen, verteilt auf vier Bände. Aufbewahrt in einem Schrank, nach dem Tod der Mutter dort entdeckt. Und nun aus dem privaten Kosmos hinüber gewechselt ins Öffentliche. Die vier mit Stoff eingeschlagenen Bände liegen, von einem Spanngurt zusammengehalten, unter Glas und strahlen eine ganz eigene Empfindsamkeit aus. Das also ist geblieben und das also bleibt.

Dieser Fund, der auf viele einzelne, dann gebündelte Funde zurückgeht, hat Steinhagen zu einer nächsten Arbeit geführt: Da jeder erst gefundenen, dann gepflückten und dann gepressten und damit präparierten Pflanze ein unverwechselbarer und damit einmaliger Tag zugeordnet ist, hat sie Daten über das damalige Wetter beim Deutschen Wetterdienst abgefragt: den Niederschlag, die ermittelte Sonnenscheindauer, die relative Luftfeuchtigkeit, den Windspitz und das Tagesmittel der Temperatur. Versuch einer Annäherung an die sammelnde und systematisierende Mutter, weiß sie doch nicht, ob und wann diese suchend unterwegs war und gezielt Ausschau hielt oder wann sie sich hat treiben lassen – und kann nicht mehr fragen, muss und kann sich aber annähern, in aller Begrenztheit, die im Annähern liegt. „Für mich ist das natürlich eine persönliche Geschichte, aber sie funktioniert auch für den Betrachter, der die Geschichte dahinter nicht kennt“, sagt sie.

Steinhagen sagt: „Diese Arbeiten haben etwas Wissenschaftliches, auch etwas Experimentelles – und dann auch wieder gar nicht.“ Und sie erzählt eine Begebenheit aus ihrer Kindheit: „Ich habe als Grundschülerin an einem Wettbewerb teilgenommen, da ging es um die Spuren von Tieren. Der Gewinner hat ein Buch über Spuren gewonnen, und ich wollte unbedingt gewinnen, ich wollte unbedingt dieses Spurenbuch haben!“ Sie lacht: „Ich habe dann tatsächlich auch gewonnen!“ Und macht klar, wie sehr sie der Moment beschäftigt, betont noch einmal, wie wichtig das Feld ist, wo das Sichtbare und das Erkennbare auf den Moment treffen, wo eine Geschichte anfange. „Dabei ist die Spur von einem Tier nur die Spur von einem Tier.“ Und eben doch viel mehr.

Die Kunst war immer da, dennoch hat sie in Flensburg zunächst auf Lehramt studiert, Geschichte und Kunst waren ihre Fächer. „Aber mir war das bald nicht konzentriert genug“, sagt sie. Steinhagen entscheidet sich für die Kunst, arbeitet lange an einer Mappe, um an die Hamburger Kunsthochschule gehen zu können, es wird dann die Muthesius-Kunsthochschule in Kiel. „Umwege tun ganz gut“.

Studiert erst auf Bachelor, dann auf Master. Und stellt zugleich umtriebig aus: Sie erzeugt in einer Badewanne künstliche Gischt, während an der Wand sorgsam gerahmt je eine Analyse von Wasserproben aus dem Hafenbecken von Kopenhagen wie der Kieler Förde hängen. Sie hat sich mit der Architektur des Alvar-Aalto-Kulturzentrums in Wolfsburg beschäftigt, sie hat aus dem Handyvideo eines Fluges über Grönland eine berückende Projektion entwickelt, bei der man schauend die unter einem dahinfließende Eislandschaft auch wie ein abstraktes Relief wahrnehmen und verstehen kann. Sie hat die Fotosammlung ihrer Mutter be- und verarbeitet; Titel der Arbeit: „she left me lonely“; sie hat eine Skulptur aus Wettpokalen gefertigt, bei der einem der skulpturale Charakter von Pokalen an sich sofort einleuchtet. Sie hat die Rückseiten von Polaroids untersucht, hat eine Sammlung von Fotos von Hochsitzen angelegt, und sie hat eine skulpturale Installation entwickelt, bestehend aus einem Metallgestell und Fotos, die sie bei Ebay-Kleinanzeigen fand, nachdem sie in der Suchmaske die Begriffe „Foto“ und „Gestelle“ eingegeben hatte. Es ist also bei ihr bei aller Stringenz und auch Kargheit, die konzeptionellen Arbeiten oft eigen ist, dann schnell eine gehörige Portion Humor mit im Spiel.

„Kunst hat mit Ausdauer zu tun und dass immer mal jemand sagt: ‚Mach weiter!‘“

Anne Steinhagen

Und dieses Spiel mit dem Abstrakten, das danach drängt, erzählende Worte zu finden, die zugleich nicht reichen, findet sich auch in ihrer raumfüllenden Arbeit „keep me safe“, betritt man nun den eigentlichen Körper der Kieler Stadtgalerie. Lamellenhafte Vorhänge scheinen einzelne Räume abzutrennen, ein Dia von einem Tisch, auf dem ganz leicht ein Regenbogen zu erkennen und also zu sehen ist, wird wiederum projiziert und das Licht durch ein Prisma regenbogenfarben gebrochen: Ein Regenbogen ist ein Regenbogen ist ein Regenbogen, sozusagen. Und gelegentlich dampft in den Aquarien, in denen sachte Wasser schwappt, Nebel auf. Kriecht hier und da weiß hervor, bevor der Nachschub mittels Timer wieder versiegt: „Nebel ist ein schönes Bild für das Dazwischen“, sagt sie.

Ist das hier ein Labor und wenn ja, wofür? Was wird erforscht, wenn etwas erforscht wird? Steinhagen sagt: „Ich simuliere gerne wissenschaftliche Versuchsanordnungen, nehme diese in meine Installationen auf, es ist aber nicht ganz klar, was untersucht wird.“ Gelegentlich weht Luft durch ihren Ausstellungsparcours, zwei Ventilatoren, die sie preiswert im Internet erstanden hat und die aus China kommen, drehen sich schnellstens, scheinen sich dabei fast aus der Verankerung zu lösen und sorgen für eine kühle Brise. Und dann ist der Wind wieder weg. Und dann ist er wieder da.

Stadtgalerie Kiel: Gottfried-Brockmann-Preis 2017. Bis 18. Februar 2018

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