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Archiv-Artikel

Nazis in „Angst und Schrecken“

GESCHICHTE Ein Buch schildert Fälle politischer Gewalt in der Weimarer Republik. Linke Gruppen wie die Kreuzberger Antifa stempelten die Richter schnell zu „Terrorbanden“ ab, Faschisten wurden zu Opfern

Sie nannten sich „Lustig Blut“ oder „Edelweiß“, ihr Motto war: „Wo wir Nazis sehn, da jibt’s Kleinholz“. Sie rissen Nazipropaganda ab und verhinderten gelegentlich ganz handfest Treffen von Faschisten in Kreuzberg. Hier entwickelte sich zwischen 1930 und 1933 die erste Jugendantifa. Der Berliner Historiker Johannes Fülberth beschreibt sie in einem kürzlich erschienenen Buch, in dem er 18 Konflikte mit Todesfolge und politischem Hintergrund in der Endphase der Weimarer Republik untersucht.

Auch der SA-Mann Hans Hoffmann gehört dazu, der bei einer Auseinandersetzung mit der Antifa am Lausitzer Platz im Juli 1931 so schwer verletzt wurde, dass er Wochen später starb. Danach wurden die Jugendantifastrukturen von der Polizei in kurzer Zeit aufgerollt. Der wegen schwerer Körperverletzung angeklagte Jungkommunist Kurt Gersing verteidigte sich politisch: „Der Staatsanwalt hat von roten Terrorbanden gesprochen. Ich protestiere dagegen. Wenn junge Antifaschisten sich gegen Nationalsozialisten verteidigen, um ihr Leben zu schützen, sind sie noch lange keine Terrorbanden.“ Gersing setzte die Widerstandsarbeit fort und wurde 1943 in Plötzensee hingerichtet.

Es wundert nicht, dass viele Nazis, die in der Weimarer Republik für den Tod von GegnerInnen verantwortlich waren, im NS-Regime aufstiegen. Dasselbe gilt aber auch für die meisten Richter, die vor 1933 in politischen Konflikten mit Todesfolge urteilten. Wie Fülberth nachweist, sahen die oft deutschnationalen Richter in einem Linken schnell den Landesverräter, erkannten aber bei Rechten Notwehr. So wurde der NS-Standartenführer Georg Kuntze, der den Kommunisten Ernst Nathan erschoss, wegen Verletzung des Waffengesetzes zu einem Jahr Haft verurteilt. Weil Kuntze „permanent in Angst und Schrecken“ vor Überfällen der Kommunisten lebte, habe er überreagiert, so der Richter.

Obwohl Fülberth auch bei den Nazigegnern Gewaltbereitschaft konstatiert, setzt er rechts und links nicht gleich. Während die SA mit der Einrichtung von Sturmlokalen und massiver Präsenz oppositionelle Stadtteile erobern wollte, hätten die Reaktionen der AntifaschistInnen der Verteidigung der Stadtteile vor den Rechten gedient. PETER NOWAK

■ Johannes Fülberth: „… wird mit Brachialgewalt durchgefochten“. Köln 2011, PapyRossa-Verlag, 154 Seiten, 14 Euro