Nazi-Richter am Bundesarbeitsgericht: Ahnengalerie mit braunen Flecken
Das Bundesarbeitsgericht wurde ab 1954 von Richtern aufgebaut, die dem NS-Regime dienten. Aufgearbeitet ist das immer noch nicht.
Doch das erfährt man nicht bei der Betrachtung der Porträts. Da fehlt bei Namen wie Willy Martel oder Walter Schilgen jeglicher Hinweis, wann sie wo wen zum Tode verurteilt haben. Unerwähnt bleibt auch Georg Schröders Einsatz bei der „wirtschaftlichen Entjudung“ der Niederlande, also „Arisierung“ und Beschlagnahmung jüdischer Unternehmen und Vermögen. Um nur drei Beispiele zu nennen.
Kein Wort zur braunen Vergangenheit zahlreicher Abgebildeter. Stattdessen ist nur der Zeitraum ihrer Tätigkeit am Bundesarbeitsgericht sowie die jeweilige Amtsbezeichnung vermerkt. Und so wird es erstmal auch bleiben. Das geht jedenfalls aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die der taz vorliegt.
Bei der Bildergalerie handele es sich um eine „von der Richterschaft selbst initiierte bildliche Dokumentation sämtlicher Richterinnen und Richter, die seit der Gründung des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 1954 berufen worden sind“, schreibt die Bundesregierung. In der Darstellung komme „weder eine Wertung noch eine Ehrung zum Ausdruck“. Alles ganz neutral also. Genau das ist das Problem.
Mindestens 15 Nazis unter den Richtern
Wie die deutsche Nachkriegsjustiz ingesamt war auch das Bundesarbeitsgericht in seinen Anfangsjahrzehnten geprägt von Juristen, die als „NS-belastet“ eingestuft werden müssen.
In ihrer Antwort auf eine Große Anfrage der Linksfraktion räumte die Bundesregierung im Jahr 2011 ein, dass bei 15 Bundesarbeitsrichtern eine frühere NSDAP-Mitgliedschaft festgestellt wurde, beim Bundessozialgericht waren es sogar 42. Welche Auswirkungen hatte das auf die Rechtsprechung der beiden Gerichte? Das ist bis heute nicht wissenschaftlich erforscht.
Wie aus der jetzigen Regierungsantwort hervorgeht, kam es erst im Mai 2017 zu einem Treffen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mit den beiden ihm unterstellten Gerichten, um mit diesen über das Thema der eigenen Vergangenheitsaufarbeitung zu sprechen.
Zwei Jahre später startete dann das Bundessozialgericht ein Forschungsprojekt zu seiner Gründungs- und Wirkungsgeschichte. Die Ergebnisse sollen 2022 vorliegen. Beim Bundesarbeitsgericht ist man hingegen immer noch nicht so weit: „Das Bundesarbeitsgericht beabsichtigt, ein eigenes Forschungsprojekt in Auftrag zu geben“, so die Regierung. 350.000 Euro will sie dafür bereitstellen.
Wenn die Ergebnisse des noch nicht gestarteten Projekts dann irgendwann vorliegen, werde das Bundesarbeitsgericht auch „prüfen, ob sich hinsichtlich der Bildgalerie Handlungsbedarf ergibt“, schreibt die schwarz-rote Bundesregierung.
Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, hat dafür kein Verständnis: „Es ist schon erstaunlich, dass es auch im Jahr 2021 erst Studien bedarf, damit in bundesdeutschen Ministerien oder Bundesgerichten Bilder von Nazis abgehängt oder zumindest kommentiert werden“, sagte er der taz.
Auf die Forschungsergebnisse über das Wirken der NS-belasteten Richter ist Korte gleichwohl gespannt. Schließlich habe doch „das Bundesarbeitsgericht wie ein Ersatzgesetzgeber das Arbeitsrecht der jungen Bundesrepublik, darunter das bis heute repressiv ausgelegte Streikrecht, maßgeblich geprägt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden