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Nato: Keine Eile mehr bei Kurzstreckenwaffen

Herbstsitzung der Nato-Verteidigungsminister/ Noch Differenzen bei Verhandlungen über atomare Kurzstreckenwaffen  ■ Aus Brüssel Andreas Zumach

Die Verteidigungsminister der Nato wollen auf ihrer heute in Brüssel beginnenden zweitägigen Herbstsitzung versuchen, die bündnisinternen Differenzen hinsichtlich der Verhandlungen mit der Sowjetunion über atomare Kurzstreckenwaffen (SNF) zu überwinden. Nach Beschlußlage des Londoner Nato-Gipfels vom Juli sollten diese Verhandlungen „bald“ nach der — Mitte November erfolgten — Unterzeichnung des Vertrages über konventionelle Streitkräfte (VKSE) beginnen. Doch inzwischen gibt es starke Widerstände einiger Nato-Staaten.

Wesentlicher Grund hierfür ist die inzwischen gesicherte Erkenntnis in der Brüsseler Nato-Zentrale wie in den Verteidigungsministerien in Bonn, London oder Washington, daß die UdSSR ihre unter die Kategorie SNF fallenden atomaren Artilleriegranaten und Kurzstreckenraketen (bis 500 Kilometer Reichweite) schon vor geraumer Zeit vollständig von den Territorien der ehemaligen DDR sowie Polens, Ungarns und der CSFR abgezogen hat. Die von der Nato seit Jahren behauptete östliche Überlegenheit in Zentraleuropa existiert nicht mehr. Damit ist auch der bisherige Hauptanreiz für die Nato entfallen, sich auf SNF-Verhandlungen einzulassen. Darüber hinaus gibt es Hinweise, daß Moskau die SNF- Waffen auch aus den westlichen Militärbezirken der Sowjetunion abzieht oder sogar schon abgezogen hat.

Vor allem die USA und Großbritannien möchten vor diesem Hintergrund SNF-Verhandlungen hinauszögern bzw. überhaupt nicht mehr stattfinden lassen. Während Bundesaußenminister Genscher — wenn auch derzeit nicht besonders aktiv — für eine baldige Verhandlungsaufnahme eintritt, gibt es auf der Hardthöhe Unterstützung für die Position Londons und Washingtons. Diese Position hat eine Reihe von „Vorteilen“ für die Nato. Das westliche Bündnis könnte nach eigenem Ermessen unilaterale Reduzierungen bei nicht mehr benötigten SNF-Waffen vornehmen, ohne sich in einem Ost-West-Vertrag verbindlich festzulegen sowie Kontrollen sowjetischer Inspektoren zu unterwerfen. Das erlaubt die beliebige Wiederstationierung von SNF-Waffen zu einem späteren Zeitpunkt. Auf diese Weise — so das Kalkül — ließe sich auch eine öffentliche Kontroverse über die für spätestens 1995 vorgesehene Stationierung neuer flugzeuggestützter atomarer Abstandswaffen (TASM) vermeiden. Die bislang erklärte Bereitschaft der Nato zu SNF- Verhandlungen bezog sich ausschließlich auf bodengestützte Waffen. Moskau dringt auf die Einbeziehung luftgestützter Systeme. Für diese Forderung dürfte es große Unterstützung bei Oppositionsparteien und der Bevölkerung zahlreicher Nato-Staaten geben. Auch die für die Nato sehr schwierige Debatte darüber, ob nur US-amerikanische und sowjetische oder auch französische und britische SNF-Systeme einbezogen werden, ließe sich bei einem Verzögern oder vollständigen Verzicht auf Verhandlungen zunächst weiter hinausschieben. Paris und London haben bislang keine Bereitschaft erkennen lassen.

London und Washington sind sowohl bei Artilleriegranaten wie bei Kurzstreckenraketen lediglich bereit zu einer Reduzierung, nicht aber zu Null-Lösungen, für die es in Westeuropa wachsende Unterstützung gibt. Zumal, wenn nur über Reduzierungen statt über Null-Lösungen verhandelt würde, müßten mit der Sowjetunion Verifikationsmethoden zur Unterscheidung der auf denselben Trägersystemen montierten und von außen völlig identischen Nato- Kurzstreckenraketen mit atomaren und mit konventionellen Sprengköpfen vereinbart werden. Derartige Methoden existieren. Doch die USA bestreiten dies bislang und begründen mit diesem Argument ihre bisherige Weigerung zu Rüstungskontrollverhandlungen über Atomwaffen auf Schiffen und U-Booten.

Nach den Nato-Verteidigungsministern beraten nächste Woche die Außenminister der Allianz in Brüssel über dieses Thema. Wahrscheinlich kommt dabei höchstens eine Einigung auf einen begrenzten, für die UdSSR kaum akzeptablen SNF-Verhandlungsvorschlag zustande.

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